Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
ich wollte die Leute dazu bringen, einander mit ein wenig mehr Liebe und Freundlichkeit zu behandeln. Aber wie will irgendjemand mehr Liebe und Freundlichkeit in die Welt bringen, wenn er sie in sich selbst nicht findet? Eswar nicht so, dass ich das Gefühl hatte, es wäre eine Fehlentscheidung gewesen, in diesem Jahr an Thanksgiving zu Hause zu bleiben, aber ich musste aufpassen, dass dieses Projekt mich nicht blind machte für meinen Hang zur Selbstgerechtigkeit.
Es geht nicht darum, Zäune zwischen den Menschen zu errichten. Wenn überhaupt, brauchen wir welche um sie herum.
Nach ein paar Wochen der CO2-freien Fortbewegung war das einzige Familienmitglied, das sich beschwerte, zu meinem Erstaunen Frankie, unsere kleine Hündin. Von den neun Etagen, die sie jetzt immer rauf und runter laufen musste, um ihren Bedürfnissen nachzugehen, taten ihr die Beine weh. Sie winselte leise, wenn sie aufs Bett sprang. Ich hoffte, ihre Muskeln gewöhnten sich daran, bevor jemand den Tierschutzbund alarmierte.
Für mich begann der Tag damit, die neun Etagen mit Frankie runter und wieder rauf zu laufen. Wenn ich an der Reihe war, Isabella zu Peggy zu bringen, wieder die neun Etagen runter, diesmal mit Isabella auf meinen Schultern (weshalb Isabella, nebenbei bemerkt, das Treppenlaufen sehr viel besser fand als die Aufzug-Variante). Dann sechs Blocks bis zu Peggy und dort sechs Etagen rauf, das Ganze natürlich wieder mit meiner Tochter auf den Schultern. Dann noch mal neun Blocks weiter und zwölf Etagen rauf zum Writers Room, einer Art Bürogemeinschaft, wo ich mich vor meinen Computer setzte.
Zu dem Zeitpunkt – ungefähr um halb zehn – war ich bereits 27 Etagen rauf gelaufen (sechs davon mit zwölf Kilo Isabella auf den Schultern) und 24 runter. Mein Tagesrekord lag irgendwann bei 124 Etagen – das sind neun mehr als im Empire State Building. »Macht ’nen Knackarsch«, sagte ich jedes Mal und klopfte mir auf den Hintern, wenn jemand mich wegen der Plackerei, die es in den Augen der anderen war, bemitleidete. Außerdem hatte ich herausgefunden, dass das Treppensteigen oft sogar schneller ging,wenn man die Wartezeit vor dem Aufzug einrechnete. Für meine längste zusammenhängende Strecke, zwanzig Etagen, brauchte ich nur fünf Minuten, und das in einem ganz entspannten Tempo.
Allerdings muss ich zugeben, dass ich es durchaus genoss, wenn ich mal in einem Gebäude den Aufzug nehmen musste, weil das Treppenhaus aus Sicherheitsgründen gesperrt war. Wie ich mit der Zeit herausfand, gibt es in New York eine ganze Anzahl von Gebäuden, in denen man die Treppen nicht benutzen darf, selbst wenn man zum Beispiel ständig zwischen dem 23. und dem 24. Stock hin- und herlaufen muss. »Leute mit Aufzug-Phobie wie Sie müssen vorher anrufen, wenn sie die Treppe nehmen wollen«, sagte ein Wachmann zu mir.
Obwohl ich gelegentlich Neid verspürte, wenn ich Leute in Taxis davonfahren sah, genoss ich es, beim Gehen, Fahrradfahren und Treppenlaufen meinen Körper zu spüren. Ich fühlte mich nicht mehr wie ein aufgeschraubter Kopf, der von einer Maschine bewegt werden musste. Bewegung war zu einem selbstverständlichen Teil meines Lebens geworden, und ich verspürte ein gewisses Gefühl der Unabhängigkeit, weil ich mich umherbewegen und vielleicht sogar überleben konnte, ohne auf das System angewiesen zu sein.
Doch was mich noch viel mehr überraschte: Michelle kam ebenfalls auf den Geschmack. »Das ist die einzige Zeit, wo ich allein bin«, sagte sie, bezogen auf ihren Weg zur Arbeit und zurück. An der Ecke Fourteenth Street kam sie an einem Fitnessstudio vorbei, wo die Leute hinter der Scheibe auf dem Laufband ihre Kilometer absolvierten, nachdem sie mit dem Taxi vom Büro dorthin gefahren waren. Wie unsinnig, dachte Michelle. Wenn sie zu Fuß gingen, könnten sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – sie kämen zur Arbeit und hätten die Bewegung noch gratis dabei.
Sie schickte mir eine Mail:
Ich habe gerade gehört, wie zwei junge Frauen sich über Wohnungen unterhielten. Die eine jammerte darüber, dass sie noch nie in einem Haus mit Aufzug gewohnt hatte. Die andere, die ziemlich übergewichtig war, meinte: »Ich kaufe mir doch keine Wohnung im vierten Stock ohne Aufzug – das macht mein Körper nicht mit.«
Ganz schön traurig, oder?
Eine dicke junge Frau, die keine vier Etagen hochlaufen wollte.
Ein Dezembertag in New York City mit über zwanzig Grad.
Die Leute in T-Shirts bei der feierlichen
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