Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
kann. Es ist ganz einfach: Fahren Sie nur halb so oft und bleiben Sie dafür doppelt so lange.
In unserem Fall bedeutete das, dass Michelle und ich beschlossen, zwei der vier Fahrten nach Neuengland zu streichen. Umweltbewusstsein hin oder her, es wäre meiner Mutter und meiner Schwester gegenüber zu hart gewesen, sie alle zu streichen. Trotzdem hatte ich das Gefühl, auf einen großartigen Öko-Tipp gestoßen zu sein.
Statt zweier Drei-Tages-Fahrten zu Thanksgiving und zu Weihnachten zum Beispiel kann man genauso gut zu einem der Feste eine ganze Woche bleiben und das andere entspannt zu Hause verbringen. Obendrein hat man nur die Hälfte der Fahrtkosten – und die Hälfte des Stresses.
Außerdem beschwerte meine Mutter sich ständig, dass wir immer nur so kurz blieben. Sie würde von dieser Lösung also begeistert sein. Ich war ein Genie. Ich setzte mich an den Küchentisch, nahm den Telefonhörer ab und wählte ihre Nummer. Meine Mutter nahm ab. Ich erklärte ihr das mit dem Reise-Moratorium wegen des Projekts, hängte aber gleich hintendran, dass wir zwar nicht zu Thanksgiving und zur Babyparty kommen würden, dafür aber zu Weihnachten und zur Geburt von Susans Baby.
»Und weißt du was«, fuhr ich fort und warf meine Versöhnungs-Trumpfkarte auf den Tisch, »du wirst genauso viel von uns haben, weil wir nämlich doppelt so lange bleiben!«
Das lange Schweigen am anderen Ende ließ erahnen, dass meine Verkaufstaktik vielleicht doch nicht so erfolgreich war, wie ich gedacht hatte.
»Ich kapier’s nicht«, sagte meine Mutter. »Der Zug fährt doch sowieso, ob ihr drinsitzt oder nicht. Welche zusätzlichen Emissionen würdet ihr denn verursachen, wenn ihr einsteigt?«
»Ja, aber hast du nicht gehört? Wir bleiben dafür doppelt so lange.«
Wieder langes Schweigen. Man kann am Telefon nicht hören, wie jemand die Lippen zusammenpresst, aber wenn es die eigene Mutter ist, spürt man es, selbst aus 300 Kilometern Entfernung.
»Deine Schwester wird ziemlich enttäuscht sein, dass du nicht zu ihrer Babyparty kommst. Ich würde sie nicht bei der Arbeit anrufen. Warte damit lieber bis heute Abend.«
Damit hatte sie bestimmt recht.
»Ich verstehe nur nicht, was dieses ganze Projekt soll, wenn alle anderen die Opfer bringen sollen, und nicht du«, sagte meine Mutter.
»Aber ich bin derjenige, der nicht reisen kann …«
»Und ich bin diejenige, die darunter leidet.«
Fünfzehn Minuten mit dem Rad die Madison Avenue rauf zur Fifty-first Street, und ich lag im Behandlungssessel meines Zahnarztes und ließ mir das Gebiss reinigen. Mein Handy klingelte. Und klingelte. Und klingelte. Die Zahnarzthelferin nahm den Polieraufsatz aus meinem Mund.
»Wollen Sie nachsehen, wer es ist? Vielleicht ist es ja wichtig.«
Ich sah auf das Display. Meine Schwester. Ich seufzte. Das Klingeln hörte nicht auf.
»Gehen Sie ruhig dran«, sagte die Zahnarzthelferin.
Vielen Dank auch, dachte ich.
»Hallo.«
»Ich hoffe, du weißt, dass du meine Babyparty ruiniert hast.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen.
Klick.
So viel zum Thema »bis heute Abend warten, um es meiner Schwester zu sagen«.
Es ist leicht, die Geschichte von der komischen Seite zu nehmen, aber die Tatsache, dass ich die Gefühle meiner Familie verletzte, um nicht den Planeten zu verletzen, wirft ein paar wichtige Fragen auf. Später, als ich mich mit Leuten anfreundete, die in der Klimaschutzbewegung aktiv sind, sagte eine von ihnen mal ziemlich aus dem Nichts heraus: »Weißt du, ich glaube, wir dürfen bei dem, was wir tun, nicht vergessen, Liebe und Freundlichkeit ins Zentrum zu stellen.«
Als ich einige Zeit später noch mal auf ihre Worte zurückkam, schrieb sie mir privat: »Wenn wir keine Liebe verbreiten, werden wir es nicht schaffen.«
Nach einem Streit mit meinem Vater schrieb er mir: »Du solltest dir weniger Gedanken um deine CO2-Bilanz machen und mehr um deine Familien-Bilanz.«
Bevor dieses Projekt begann, zu der Zeit, als mein Bemühen, die Welt zu verbessern, sich darauf beschränkte, über die Politiker zu schimpfen, hatte Michelle zu mir gesagt: »Du bastelst Bomben in deinem Kopf.« Ich verbreitete Hass. Ich zögere, das berühmte Gandhi-Zitat zu wiederholen, weil es so oft verwendet wird, dass es allmählich zu einem Klischee verkommt, aber trotzdem: »Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.«
Ganz zu Anfang, als ich mit meinem Agenten Eric zum ersten Mal über das Projekt gesprochen hatte, hatte ich gesagt,
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