Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
die Windel fest um ihre kleinen Beine zu wickeln. Nur war auf den Fotos der Anleitung eine Puppe abgebildet, die geduldig still hielt. Isabella jedoch wand sich und zappelte, als ginge es um einen Ringkampf. Kurzzeitig erwog ich, meine Tochter mit Paketband am Boden festzukleben, doch schließlich war es geschafft.
Isabella stand auf und strahlte. Es sah eher so aus, als trüge sie eine Toga oder einen Rock, aber ich hoffte, das würde ich mit der Zeit schon hinkriegen. Wenn nicht, würde nach und nach unsere gesamte Einrichtung auf die Müllkippe wandern. Denn zwanzig Minuten nach meiner ersten Wickelübung breitete sich eine Pipipfütze von der Größe des Lake Michigan auf dem Fußboden aus.
Die Zeit verging. Mitte Januar waren die ersten drei Monate unseres Projekts fast vorbei. Über Weihnachten waren wir mit dem Zug zu meiner Mutter gefahren, und ich hatte eine wichtige Lektion gelernt. Auf Stoffwindeln umzuwechseln, um Müll zu vermeiden, ist ein Klacks im Vergleich dazu, eine ganze Woche am Stück bei seiner Mutter zu verbringen, um den CO2-Ausstoß gering zu halten.
Aus Gründen, die ich noch darlegen werde, bin ich überzeugt, dass man die Leute dazu bringen kann, Stoffwindeln zu benutzen. Aber wenn die Zukunft dieses Planeten davon abhängt, dass wir erwachsenen Kinder längere Zeit bei unseren Eltern verbringen, dann, fürchte ich, sieht’s schlecht aus.
Vielleicht war dies der Moment, der mich wirklich ins Grübeln brachte:
Wir saßen am ersten Weihnachtstag bei meiner Mutter im Wohnzimmer und packten unsere Geschenke aus. Vollkommen einwandfreies Papier wurde zerrissen, zusammengeknüllt und in große schwarze Müllsäcke gestopft. Unauffällig zog ich die noch halbwegs unversehrten Stücke wieder heraus und strich sie glatt, als würde sie tatsächlich jemand aufheben und wieder verwenden. Was war nur los mit mir? Irgendwie tat ich mich furchtbar schwer.
Während meine Schwester achtlos das Papier von ihrem Geschenk riss, anstatt vorsichtig das Klebeband zu lösen, damit das Papier möglichst unbeschadet blieb, saß ich auf dem Fußboden und hatte buchstäblich einen Knoten im Bauch. Am liebsten hätte ich allen ihre Geschenke aus den Händen gerissen, um das Papier zu retten. Meine Schwester durchschaute mich und fing an zu lachen. Ich hatte, um Ressourcen zu schonen, keine Dinge verschenkt und somit auch nichts verpacken müssen. Meine Mutter hatte einen Gutschein für zwei Massagen von mir bekommen, mein Vater und seine Frau einen Gutschein für ein Edelrestaurant und meine Schwester Geld für die Babyausstattung.
Mir gefiel immer weniger, was das Projekt aus mir machte. Ich hatte das Bedürfnis, ständig alles zu kontrollieren. Ich hatte das Ganze unter der Vorgabe begonnen, »vor meiner eigenen Tür zu kehren«, was bedeutete, dass ich den Mund hielt, auch wenn ich nichts lieber getan hätte, als allen anderen zu erklären, was sie tun oder lassen sollten. Doch ich verurteilte gar nicht die anderen, sondern mich selbst, weil ich nicht mehr tun konnte. Himmel, gab es irgendeinen Weg, dieses Projekt durchzuziehen und trotzdem Seelenfrieden zu finden?
»Wir werden allmählich zu Sonderlingen«, sagte ich zu Michelle.
»Nein,
du
wirst zum Sonderling.«
Was ich an dem Projekt bis dahin am schwierigsten fand, waren erstaunlicherweise die Kleinigkeiten: Manchmalhätte ich einfach gern einen Schokoriegel gegessen, einen Kurztrip ans Meer gemacht oder mich vor den Fernseher gesetzt. Aber ich glaube, noch schwieriger war die ständige Konfrontation mit mir selbst. Mit meiner Strenge. Meiner Schwäche. Meiner Zwanghaftigkeit.
Die Fragestellung veränderte sich.
Es war, als würde man an einem Garnknäuel ziehen, das sich entrollt. Am Anfang lautete die Frage: Wie kann ich so leben, dass ich der Umwelt keinen Schaden zufüge? Irgendwann wurde daraus: Wie soll ich leben?
Michelle wollte die ganze Zeit schon ein zweites Kind. Ungefähr zu dieser Zeit fragte sie mich: »Wärst du bereit, russisches Roulette zu spielen? Wir müssen ja nicht aktiv versuchen, ein Baby zu bekommen, aber wir könnten es doch einfach darauf ankommen lassen.«
Ich fühlte mich nicht wohl damit. Ich hatte Angst. Ich machte mir Sorgen, ob wir es uns leisten konnten, ein zweites Kind zu bekommen. Woher sollten wir das Geld und die Zeit dafür nehmen? Aber diese Diskussionen hatten wir alle schon mehrmals gehabt, und Michelle ließ nicht locker.
»Gut«, sagte ich. »Wir spielen russisches Roulette.«
Aber
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