Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
und meine Großeltern waren dort begraben. Und mein Bruder David. Mein Vater erzählte manchmaldie Geschichte, dass ich bei Davids Beerdigung angeblich ausgerufen hätte: »Lieber Gott, danke, dass David uns besuchen durfte.«
»Steht deshalb ›Geliebter Besucher‹ auf seinem Grabstein?«, fragte Michelle.
Ich nickte.
Wir setzten uns eine Weile neben den Gräbern auf den Rasen und schwiegen. Michelle liefen ein paar Tränen übers Gesicht. Isabella rupfte Gras aus. Sie sah niedlich aus mit ihrem leuchtendgelben Fahrradhelm.
Im Rückblick glaube ich, dass die Beweggründe für das, was ich No Impact Project getauft habe, gar nicht so sehr mit Eisbären und korrupten Politikern zu tun hatten, sondern eher mit dem acht Monate alten Baby, das an einem Herzfehler gestorben ist, und dem neunundzwanzigjährigen Mann, der sich erschossen hat. Seither war mir vieles im Leben sinnlos erschienen. Natürlich nicht alles, aber vieles von dem, was unsere Kultur als erstrebenswert darstellt – zum Beispiel, dass wir unbedingt reich werden und ein großes Haus besitzen müssen.
Es ist ja leider nicht so, dass ich nicht auch manchmal gerne reich wäre und ein großes Haus hätte, aber wenn mich solche Wünsche überkommen, erinnert mich mein Verstand sofort daran, dass man Geld und Häuser – genau wie Brüder und Onkel – genauso schnell wieder verlieren kann, wie man sie bekommen hat. Ich bin, wie mir ein studierter Psychologe mal gesagt hat, »darauf konditioniert, materiellen Befriedigungen zu misstrauen«. Bevor ich Gelegenheit dazu habe, mein Lebensschiff auf den Kurs von Villen und Dollors zu bringen, ertappe ich mich bei der Frage: Welche Bedeutung hat das alles, wenn ich nicht mehr da bin?
Nicht, dass ich Grund zur Unzufriedenheit hätte. Nach ein paar beruflichen Schlenkern hat das Universum mir das Privileg gewährt, meinen Lebensunterhalt mit Schreiben verdienen zu können. Ich kann einen ganzen Stapel von Artikeln und (dieses nicht mitgerechnet) zwei Bücher vorweisen.Ich habe sogar das Glück, in einem stilvollen Altbau in Greenwich Village zu wohnen, für mich der schönste Teil von New York. Ich habe in vielerlei Hinsicht genau das Leben, von dem ich als Kind geträumt habe. Was will ich mehr?
Aber die Frage lässt mich nicht los: Wozu ist das alles gut, wenn ich nicht mehr da bin?
Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, fährt man in der Landschaft umher, nicht durch sie hindurch, wie mit dem Auto. Man sieht sie nicht nur, sondern erlebt sie. Man ist Teil von ihr, und die Schönheit berührt einen so tief, dass einem die Tränen kommen, und man will nie wieder absteigen.
Als wir dort auf dem Friedhof saßen, fragte mich Michelle, die sich bis zu diesem Tag mit Händen und Füßen gegen ein Fahrrad gesträubt hatte, ob wir, wenn wir wieder in New York wären, ein Rad für sie und einen Kindersitz für Isabella kaufen könnten. Aus Gründen ehelicher Diplomatie veranstaltete ich keinen Freudentanz mit siegreichem Brustgetrommel, sondern beugte mich nur vor, gab Michelle einen Kuss auf die Wange und sagte: »Ja, können wir.«
Es ist leichter, darüber nachzudenken, ob man sich das neueste iPhone, einen LCD-Fernseher, eine Reise in die Bermudas oder irgendeine andere Ablenkung vom Leben kaufen soll, als sich mit den grundlegenden Fragen zu beschäftigen, zum Beispiel: Wie soll ich leben? Wozu ist mein Leben gut?
Es ist leichter zu glauben, der Sinn des Lebens läge darin, einen guten Job und ein gutes Gehalt zu bekommen und eine gute Schachtel zum Wohnen und noch eine gute Schachtel zum Fahren und zu hoffen, dass diese Schachteln einen vor allem beschützen. Auch vor diesen Fragen. Ich glaube, wir möchten uns alle am liebsten vor diesen Fragen verstecken. Mir geht es zumindest so. Aber manchmal erwischen sie uns und drängen uns in die Ecke, so dass wir nicht mehr fliehen können.
Ich kannte einen Zen-Meister vom koreanisch-buddhistischen Chogye-Orden. Leider lebt er nicht mehr. Er hat in den Vereinigten Staaten eine Schule des Zen-Buddhismus gegründet, wo ich gern zum Meditieren hingehe. Seine Schüler nannten ihn Dae Soen Sa Nim, was so viel bedeutet wie Großer Geehrter Meister.
Dae Soen Sa Nim würde dazu bemerken: »Alle sagen, ich will dies und ich will das, aber niemand versteht, was dieses ›Ich‹ ist.« Was ist dieses ›Ich‹, das immer haben will? Woher kommt es? Wohin geht es? Warum lebt es? Warum stirbt es?
Diese Fragen sind deshalb so wichtig, weil wir von der Annahme ausgehen, der
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