Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
soziotechnisches Design haben wollen, müssen wir uns diese Fragen stellen. Warum sind wir hier? Was ist der Zweck unseres Lebens? Was macht uns glücklich und zufrieden? Kurzum: Wie sieht ein gutes Leben aus? Denn auf dieser Definition des guten Lebens muss unser soziotechnisches Design aufbauen.
Wer entscheidet denn, wie ein gutes Leben aussieht?
Wir.
Und wer ist dafür zuständig, dass diese Entscheidung getroffen wird?
Wir.
Innerhalb der Umweltschutzbewegung gab es heftige Diskussionen darüber, was besser sei, individuelles oder gesellschaftliches Handeln. Zum Thema individuelles Handeln schrieb Tom Friedman 2007 in der
New York Times
: »Sie können die Glühbirnen austauschen. Sie können die Autos austauschen. Aber wenn Sie nicht die Leute an der Spitze austauschen, sind Ihre Aktionen nichts weiter als ein Ausdruck ›persönlicher Tugend‹, wie Dick Cheney sagen würde.«
Und die
Newsweek
berichtete, dass Barack Obama während der Wahlkampagne angesichts einer Frage von Brian Williams, was er denn selbst für die Umwelt tue, frustriert bemerkt hatte: »Am liebsten hätte ich ihm geantwortet: ›Tja, Brian, leider können wir die Erderwärmung nicht dadurch abwenden, dass ich bei mir zu Hause die verdammten Glühbirnen austausche. Das geht nur, wenn wir alle gemeinsam etwas tun.‹«
Während meines Projekts bekam ich andauernd solche kritischen Bemerkungen zu hören. Was kann ein einzelner Mensch denn schon ausrichten? Nun, gar nichts, solange dieser Einzelne nicht versucht, etwas auszurichten. Aber wer weiß denn schon, wie viele Menschen um uns herum wir beeinflussen? Wer weiß, wer von uns durch seinen unermüdlichenEinsatz für das, woran er glaubt, vielleicht ein Martin Luther King oder ein Bobby Kennedy oder eine Betty Friedan oder ein Nelson Mandela wird?
Nicht dass große Namen unbedingt das Wichtigste an politischen oder gesellschaftlichen Bewegungen sind. Sie sind wie der sprichwörtliche Strohhalm, der dem Kamel den Rücken bricht. Tausende und Abertausende von Strohhalmen müssen auf dem Kamel lasten, bevor der letzte ihm den Rücken bricht. Keiner von diesen Strohhalmen ist wichtiger als ein anderer, auch der letzte nicht. Nur ist dies derjenige, der im Gedächtnis bleibt. Dass unsere individuellen Taten nicht im Gedächtnis bleiben, bedeutet nicht, dass sie unwichtig sind. Der Strohhalm, der den Rücken bricht, braucht all die anderen Strohhalme. Der Stein, der den Dominoeffekt auslöst, braucht all die anderen Steine vor sich, um die Kettenreaktion in Gang zu setzen.
Natürlich haben Friedman und Obama recht, wenn sie sagen, die ganze Gesellschaft muss etwas tun, um den Klimawandel aufzuhalten. Wir brauchen gigantische Investitionen in grüne Infrastrukturen. Wir brauchen Gesetze, um die Industrie umwelttechnisch in die Schranken zu weisen. Diese Dinge können nicht von Einzelnen getan werden. Diejenigen unter uns, denen die Umweltkrise Sorgen bereitet, müssen sich in die politische Arena begeben und Wege finden, diesbezüglich Druck auf unsere Politiker auszuüben.
Doch die Behauptung, individuelles und gesellschaftliches Handeln schlössen sich gegenseitig aus oder seien auch nur etwas Verschiedenes, ist unsinnig und gefährlich. Sie ignoriert die Art und Weise, wie Kulturen sich verändern, die Verantwortung der Bürger und unser Potenzial als Einleiter und Umsetzer der Veränderung. Gemeinschaftliches Handeln ist nichts weiter als die Zusammenfassung individuellen Handelns. Und individuelles Handeln schließt Engagement in gesellschaftlichem Handeln nicht aus. Im Gegenteil, beides gehört untrennbar zusammen.
Überlegen Sie mal: Wie viel überzeugender ist jemand,der mehr Radwege fordert, wenn er selbst mit dem Rad fährt? Und wie würden Sie auf jemanden reagieren, der sich für Maßnahmen gegen den Klimawandel stark macht, aber selbst mit einem SUV durch die Gegend fährt, und zwar allein? Unsere Werte auch im Alltag zu leben, und zwar in allen Bereichen, privat wie öffentlich, zeugt von einer Integrität und Ernsthaftigkeit, die helfen kann, Skeptiker zu überzeugen. Anstatt sich sinnlos um den Nutzen von individuellem versus gesellschaftlichem Handeln zu streiten, warum nicht beides unter einem Begriff wie »bürgerliches Engagement« zusammenfassen?
Die Klimakrise hat eine zweite Krise enthüllt: die Unfähigkeit unserer Kultur, schnell und wirkungsvoll auf veränderte Umstände zu reagieren. Über welche Kanäle laufen unsere Bemühungen, etwas an der Klimakrise zu
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