Alles paletti
alles brachte die anderen Bilder und Gerüche, die anderen Sprachen und die Musik zu ihm, hauptsächlich die Musik. Ein ganz normales Leben an einem normalen Ort - bis zu dieser Geschichte in der Armee.
Sein Vater, der Taxifahrer war, hatte ihn als Baby regelmäßig zur Arbeit mitgenommen. Er erzählte ihm später immer, dass er den ausgeklügeltsten Kindersitz in ganz Israel hatte. Er legte ihn neben sich auf den Beifahrersitz, und die Kunden hinten redeten mit ihm, streichelten ihn. Sein Vater sagte, er sei das bravste Baby überhaupt gewesen. Die Fahrten waren beruhigend für den kleinen Izhar, meist schlief er oder beäugte einfach
durchs Fenster die Welt draußen. Vielleicht hatte er sich damals schon den Sinn fürs Reisen, für die endlose Bewegung erworben. Vielleicht waren ihm die Staus, der Lärm, die Abgase und das grobe Rütteln der Sprungfedersitze ins Blut übergegangen. Vielleicht war Lastwagenfahrer die natürliche Fortsetzung, das, was er im Leben tun sollte.
Der Schmerz im Fuß signalisiert ihm allerdings das Gegenteil.
Nazareth. Die gleiche Schule, die gleichen Freunde von der ersten bis zur zwölften Klasse. Das gleiche Mädchen, eine Stufe darunter. Daphna. Schon immer hatte er sie gewollt. Und immer hatten andere sie. Er war ein braver Junge, tat sein Nötiges in der Schule, trieb sich mit Freunden ein bisschen im Stadtzentrum herum und kehrte nach Hause zurück zu Radio, Fernseher und den Zeitschriften, die aus dem Ausland kamen. Stopfte sich mit Wissen voll. Hörte noch und noch Musik. Träumte.
Er ging zum Militär. Golanhöhen. Nachrichtendienst. Geheimbasis, nicht viele Leute wussten davon. Jeden Sonntag machte er sich von Nazareth aus auf den Weg zur Basis, liebte es, den See Genezareth, die Höhenzüge zu betrachten. Im Winter den Schnee am Hermon. Er sagte sich, was für ein Vergnügen, in einer solchen Landschaft Militärdienst zu machen. Und jeden Freitag machte er sich wieder auf den Rückweg, die Wange ans Busfenster gedrückt, schlafend. Es war in Ordnung, es war normal, vollkommen gewöhnlich. Wie das ganze Leben bis zu jenem Augenblick, bis zu der Nacht, in der alles anders wurde.
In jener Nacht stand er Wache auf einem der Posten. Sein kleines Radio spielte die Musik, die er liebte, ein Nachtprogramm der Militärwelle. Es kam ein Lied der Pixies. Er spürte
den Wind, sah die fernen Lichter und dachte wie immer an Daphna. Er wusste nicht einmal, was geschah, bis es bereits geschehen war. Er hörte Geräusche, kümmerte sich jedoch nicht weiter darum. Dann erklang das Rattern der Schüsse. Er kauerte sich zusammen, wusste nicht, was er tun sollte. Danach herrschte Stille. Anschließend die Ambulanzen. Sie fanden ihn in seinen Parka eingerollt in einer Ecke des Postens, wie er sein Haar streichelte, das Radio fest ans Ohr gepresst.
Drei Tage lang sprach er nicht. Danach sagte er, er wisse nichts. Seine Eltern erzählten ihm, was passiert war. Niemand kam, um ihn etwas zu fragen. Drei waren getötet worden. Einer davon war Jaron, sein Zimmerkamerad. Niemand fragte nach. Alle dachten, er habe einen Schock erlitten und sei gerannt, um sich im Posten einzurollen. Andere kamen ins Gefängnis, und man berichtete in der Presse über sie. Izzi wurde einfach für einen der Verletzten bei dem Zwischenfall gehalten. Kriegsverletzt. Gefechtsschock.
Er kehrte nicht in die Armee zurück. Er blieb ein paar Monate zu Hause in Nazareth, und dann fuhr er weg. Arbeitete in London in einem Plattenladen, anschließend als Kellner in einem israelischen Humuslokal. Doch es war ihm zu kalt im Winter, also fuhr er weiter nach Neuseeland, reiste herum und arbeitete danach auf einer Farm in Australien. Als es ihm dort langsam zu heiß wurde, machte er sich wieder auf den Weg, nach Indien, ein halbes Jahr verging, ein Jahr, und schließlich waren eineinhalb Jahre seit seinem Aufbruch verstrichen. Seine Mutter hatte große Sehnsucht nach ihm, sein Vater saß immer noch im Taxi, und er wanderte in Thailand, Birma, auf den Philippinen herum, nur nicht in Israel, bloß nicht jene Nacht auf dem Posten, die Armee, die Schüsse, das Zusammenrollen. Und dann, auf den Philippinen, auf einer
winzigen Insel im Süden namens Burkei, als er eines Abends in dem Lokal der Israelis saß und zu einem exorbitanten Preis Humus aus der Büchse verdrückte, traf er Daphna. Daphna aus der Stufe unter ihm in Nazareth. Daphna, die er immer geliebt, immer begehrt hatte, an die zu denken er während der Denkpause der letzten zwei
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