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Alles paletti

Titel: Alles paletti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Assaf Gavron
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bereute die lange Fahrt keinen Augenblick. Sie bereute nur, dass sie beschlossen hatte, ihren Freund Jakob mitzunehmen. Es war ein spontaner Impuls in letzter Sekunde gewesen, vielleicht ein verzweifelter Versuch, dem Ganzen noch einmal eine Chance zu geben. Eine Beziehung von drei Jahren
war eine letzte Chance wert. Und sie war bereit, sie ihm anzubieten.
    Eine grauenhafte Idee.
    Ab dem Morgen hatten sie kein Wort gewechselt. Sie saßen nebeneinander - sie fuhr - und sprachen nicht. Auf der gesamten Rückfahrt, auf dem Highway Nr. 90 nach Osten durch Süddakota, danach auf dem 29er und zuletzt auf den kleineren Landstraßen in Minnesota Richtung Norden zum Reservat, sagten sie keinen Ton. Zehn Stunden saß sie selbst am Steuer, mit Pausen, um zu tanken, aufs Klo zu gehen, zu essen und, falls nötig, die Karten zu studieren. Als sie bei einer dieser Pausen zum Wagen zurückkehrte, war er noch auf der Toilette. Sie wartete auf ihn. Er kam, machte die Tür auf, setzte sich ins Auto, schloss die Tür und den Sicherheitsgurt. Sie legte den Gang ein und fuhr los. Trotz allem wollte sie ihn nicht mitten in Süddakota bei solchem Wetter aussetzen. Doch mit ihm reden wollte sie auch nicht.
     
    Es gibt eine Menge Geschichten über Crazy Horse. Mythen, Legenden von Schlachten. Es gibt Forschungsarbeiten über die Führerschaft dieses so jung verstorbenen Kriegers, über das Ausmaß seiner Beteiligung an den Kämpfen, über seine historische Bedeutung für die Indianer und für die amerikanische Geschichte generell. All das interessierte Jane Aki nicht. Der Titel ihrer Magisterarbeit in amerikanischer Geschichte, die sie an der Universität von Minnesota demnächst beenden würde, lautete: »Crazy Horse: Romantik im Schatten der Schlachten«. Die These, die sie in ihrer Arbeit nachzuweisen versuchte, war, dass Crazy Horse, der große Krieger, viel interessierter an Frauen als an Führerschaft oder Krieg war, und dass die große Liebe seines Lebens, die er nur teilweise zu
realisieren vermocht hatte, der Faktor war, der ihn mehr als alles andere beeinflusste und ihn am Ende in die Knie zwang. Jane hatte ihre erste Semesterabschlussarbeit in Geschichte über folgendes Thema geschrieben: »Stellung, Bedeutung und Aufgabe der indianischen Frauen in der Kriegsperiode zwischen den Indianern und den Weißen in den Sechziger- und Siebzigerjahren des 19. Jahrhunderts«. Die Fokussierung auf Crazy Horse und seine Liebe, die Squaw Black Buffalo, war für Jane die natürliche Fortsetzung.
    Black Buffalo war eine junge, gesellige Squaw. Crazy Horse begegnete ihr im Winter 1856/57, den er im Gebiet von Kansas verbrachte. Sie war die Nichte von Red Cloud, einem der Anführer der Sioux.
    Bei einem der Überfälle von Crazy Horse litt einer seiner Krieger, No Water, an heftigen Zahnschmerzen und war gezwungen, wieder ins Lager zu reiten. Als Crazy Horse von der Attacke zurückkehrte, stellte sich heraus, dass die Squaw Black Buffalo No Water geheiratet hatte. Crazy Horse nahm es sehr schwer. Er war damals einundzwanzig oder zweiundzwanzig.
    Die Squaw Black Buffalo hatte ihre Wahl getroffen, und damit hätte die Geschichte eigentlich zu Ende sein sollen - die Wahl einer indianischen Frau wurde geachtet, und man konnte sie nicht ändern. Doch Crazy Horse war ein junger Mann mit starken Wünschen, und Black Buffalo war die einzige Frau, für die er solch große Liebe empfand.
    In dem Gebiet des heutigen Custer-Nationalparks, benannt nach dem weißen General, den Crazy Horse bei einem der Kämpfe tötete, hielt Jane an und stieg aus, um die Landschaft auf sich wirken zu lassen, die Crazy Horse gespürt hatte, um die ungeheure Einsamkeit zu fühlen, die der Mensch angesichts einer so gewaltigen Natur, dieses riesigen Himmels und
der unendlich langen Horizontlinie verspürt. Aber Jakob, dieses Arschloch mit seinen Grimassen, seinen rollenden Augen - »Halten wir jetzt schon wieder an, um den roten Himmel der Indianer anzuglotzen, mein Gott, Jane!« -, trieb sie schlicht zum Wahnsinn.
    Diese Gegenden waren die Erde von Crazy Horse: Nebraska, Wyoming, Süddakota, Ostmontana. Wer sie nicht kannte, für den waren die Ebenen nur monotone Leere. Doch wer die feinen Schattierungen kannte, dem schenkten diese Ebenen unbegrenzten Zauber, ein nie endendes Spiel zwischen Himmel und Erde, dramatische Natur voller Leben. Jane dachte, dass man hier, auch heute noch, die Freiheit des Nomaden verstehen konnte. Jakob verstand das wahrscheinlich nicht. Sie hatte ihn

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