Alles paletti
gefragt, ob seine Gleichgültigkeit gegenüber der Natur damit zusammenhänge, dass er Jude sei. Er war beleidigt. Sie entschuldigte sich, es war wirklich eine dumme Bemerkung. Doch noch lange kein Anlass für Zynismus, gezielten Streit und seine Attacken: »Jetzt komm endlich runter von dem Indianertrip. Das ist vorbei. Wir leben in den Neunzigern, mein Gott, Jane, in den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts!«
Alle Krieger hatten Frauen, Crazy Horse nicht. Er trieb sich um den Wohnbereich von No Water herum, der ein eifersüchtiger Ehemann und gar nicht glücklich über die Aufmerksamkeit war, die Crazy Horse seiner Frau zollte. Etliche Jahre hindurch, in denen No Water und der Squaw Black Buffalo drei Kinder geboren wurden, blieb der Status quo zwischen den Parteien gewahrt.
Um 1865 herum erneuerten die Sioux den Brauch der Hemdenträger. Die Stammesältesten wählten vier junge Männer aus, die ihren Mut und ihre Tugend bewiesen hatten, und
zeichneten sie mit der Ehre aus, Hemdenträger zu sein. Die Hemdenträger sollten den jungen Leuten ein Beispiel geben. Sie mussten uneigennützig handeln und zugunsten des Stammeswohls denken.
Der Erste, der auserkoren wurde, war ein furchtsamer junger Mann, der aus einer der wichtigen Familien des Stammes kam. Nach ihm wurden drei weitere gewählt, darunter Crazy Horse. Es war eine große Ehre. Crazy Horse stammte aus keiner angesehenen Siouxfamilie. Sein Vater war arm, Heiler, Traumdeuter. Als er seinen Namen Crazy Horse auf seinen damals sechzehnjährigen Sohn übertrug, änderte er seinen eigenen in Wurm. Crazy Horse wurde dank seiner Kühnheit und seiner Großzügigkeit ausgewählt. Doch diese große Ehre sowie alle anderen Ehrungen, die ihm von den Steppenstämmen zu jener Zeit bezeugt wurden, interessierten ihn nicht. Sämtliche Forschungsarbeiten, die Jane eingehend studiert hatte, förderten die eine schlichte Tatsache zutage: Alles, was Crazy Horse interessierte, war die Squaw Black Buffalo.
Elf Stunden hin, zehn Stunden zurück. Ein großer Streit, Schweigen während der ganzen Rückfahrt. Was für ein mieses Timing für Wendy, sich zu verabschieden.
»Oh, oh.«
»Was, oh oh?«
»Spürst du’s nicht? Da ist was nicht in Ordnung mit ihr. Hör gut hin, das ist das Geräusch ihres Todeskampfes.«
»Von wem redest du? Welcher Todeskampf, von wem …«
»Wendy, du Blödmann! Hör doch hin. Da, jetzt ist es passiert. Ich hatte so ein Gefühl, dass sie diese Reise nicht durchstehen würde. Ich halte am Randstreifen.«
Jane blinkte, verlangsamte und fuhr an den Straßenrand.
Genau in dem Moment, als sie ganz zum Stehen gekommen war und den Motor ausschaltete, hörten sie ein kleines Geräusch, wie das Nachgeben eines Ventils, und eine weiße Wolke stieg von der Kühlerhaube, vom Motor auf. Erst nachdem sie zugesehen hatten, wie sie sich auflöste, wandte sich Jane an Jakob. Ihre dunkle Haut, ihre eine Spur schräg stehenden Augen, das absichtlich zu einem Zopf gebändigte Haar, um wie eine indianische Prinzessin auszusehen - Jakob dachte immer noch, dass sie das schönste Mädchen auf der Welt war, was ihn allerdings nicht daran hinderte, sie zu verabscheuen. Jetzt blickten ihre Augen ihn an, ihre Lippen bebten leicht, und dann öffneten und schlossen sie sich, als sie folgende Worte sagte: »Du bist dermaßen, ich meine, quasi, also echt, aber auch schon so bescheuert, Jake.«
Er antwortete ihr: »Okay, ich hab verstanden, ich hab verstanden«, und zeigte in die Richtung, in der einen Moment zuvor die weiße Rauchsäule aufgestiegen war. »Wendy ist also hinüber.«
Jane blickte seinen Finger und dann wieder ihn an, schüttelte verzweifelt den Kopf. »Ich bin froh, dass es dir auch schon aufgefallen ist, du Genie.«
»Und ich bin echt froh, dass du von diesen Problemen mit dem Auto gewusst und trotzdem beschlossen hast, mich auf eine Zweitagefahrt nach Süddakota und zurück mitzunehmen, während es draußen Stein und Bein friert«, versetzte er gehässig.
»Wie bitte? Wer hat zu dir gesagt, dass du mitkommen sollst? Wer hat denn gebettelt: ›Jane, bitte, komm, wir versuchen es noch einmal, bitte‹?« Sie imitierte ihn, schnitt ein jämmerliches Gesicht.
»Und wer hat zu dir gesagt, dass du mit diesen Selbstfindungstrips,
mit diesen Indianern aufhören sollst? Dass es Zeit wird, dass du dich davon befreist? Schau dich an, wie du aussiehst mit diesem Zopf. Eine Indianerprinzessin. Wann wirst du mal erwachsen? Wir sind in den Neunzigerjahren,
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