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Alles total groovy hier

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Titel: Alles total groovy hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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sie ihn versenkten. In ein Netz. Anders als die anderen hier waren es bei ihm gleich vier Eimergewichte, die ihn unten hielten. Als ob seine Mörder befürchtet hätten, er könne doch noch mal hochkommen. Denn anders als die anderen war er am Leben gewesen, als sie ihn unter Wasser drückten. Sie hatten ein Netz über ihn geworfen, weil sie ihn sonst nicht zu fassen gekriegt hätten. Sie hatten ein Netz über ihn geworfen wie über ein wildes Tier, und dann hatten sie ihn mitsamt dem Netz ins Meer geschleift. Ins Meer, seiner größten, wenn nicht einzigen Angst. Und dann hatten sie ihn ersäuft. Einen Arm hatte er noch freibekommen, vermutlich mithilfe des Dolchs, der immer in seinem linken Stiefelschaft steckte. Der Arm baumelte nun, angefressen, die Hand schon skelettiert, außerhalb des Netzes herum. Ersäuft hatten sie ihn. Feige und heimtückisch ersäuft. Ein Sirren riss mich aus meinen Gedanken. Ein Sirren wie von einem Außenborder.
    Es kam näher.
    Sie hatten das Fehlen des Dingis bemerkt. Oder, schoss es mir durch den Kopf, sie hatten uns das Boot ganz bewusst klauen lassen. Um uns hier draußen ohne Zeugen fertigzumachen. Weil längst nicht alle Mitglieder der Gemeinschaft eingeweiht waren. Weil etliche immer noch an die Mär von der selbstlosen Flüchtlingshilfe glaubten. Und es ihnen nur schwer zu vermitteln wäre, warum Kristof den einen Tag mit offenen Armen aufgenommen wurde und den nächsten Tag mit offenem Kopf am Strand verblutete.
    Das Sirren war gleichmäßig, unbeirrbar, Vollgas bis zum Anschlag, und es wurde lauter und lauter und lauter. Ich riss an der Sicherungs leine und spürte Scuzzi anziehen, beschleunigte mit meinen Flossen aufwärts, so hart es nur ging. Das Sirren war jetzt überall, unmöglich zu orten, und dann sah ich über mir den weißen, fluoreszierenden Pfeil, der direkt auf den kleinen, rechteckigen Schatten des Dingis zuhielt, und ich schlug mit den Flossen wie wahnsinnig, stieg höher und höher in panischer Hast, brach direkt neben dem Plastikbötchen aus den Fluten, schoss mit dem Restschwung hoch in die Luft, sah noch den Bug des Schlauchbootes, so nah, dass man die Glühfäden in seinem Suchscheinwerfer glimmen sehen konnte, packte Scuzzi mit beiden Händen und riss ihn mit mir unter Wasser, während der harte Kiel des Zodiacs über uns hinwegraste und die Trümmer des Dingis ringsum Richtung Meeresboden taumelten. Scuzzi wollte sich freistrampeln aus meinem Griff, doch ich hielt ihn fest gepackt, peilte den Schatten der Boje an, knipste das Stirnlicht aus, und wir tauchten auf.
    Mit beiden Händen fest an den eisernen Ring um den Fuß der Boje geklammert, hustete Scuzzi und spuckte, sagte aber kein Wort. Geschockt, wahrscheinlich. Das Schlauchboot fuhr eine scharfe Kurve, hielt auf uns zu, Suchscheinwerfer voll aufgeblendet. Zum Glück war die Boje groß genug, uns Sichtschutz zu bieten, solange wir uns Hand über Hand um sie herum hangelten. Doch nur bis die Verfolger das Gas wegnähmen und den Kreis enger schnürten. Anschließend könnten sie uns erschießen oder erschlagen oder sich sonst was Nettes für uns einfallen lassen.
    »Wir müssen ans Ufer«, entschied ich.
    Scuzzis Miene zeigte Skepsis pur.
    »Und zwar tauchen.«
    Das ließ seine Skepsis in nackten Unglauben abkippen.
    »Wir müssen uns am Mundstück abwechseln«, erläuterte ich. Das mischte einen ordentlichen Schub von Widerwillen in den ungläubigen Ausdruck.
    »Und zwar jetzt!« Ich schob ihm das Mundstück gewaltsam zwischen die Zähne, holte tief Luft und zog ihn mit mir, Stirnlicht wieder an und sturheil Tiefe suchend, den Grund.
    Das Sirren über uns erstarb. Ich knipste das Licht aus. Griff mir das Mundstück, was Scuzzi in spürbare Unruhe versetzte, so tief unter Wasser, in völliger Dunkelheit. Über uns nahm der Motor wieder Drehzahl ~uf, sein Geräusch jedoch ab. Ich wagte es, knipste das Licht wieder an, gab Scuzzi das Mundstück zurück, und so arbeiteten wir uns quälend langsam in grausamer Atemnot über den Grund vor, Licht an, Licht aus, Pause, Mundstück tauschen, weiter, bis der Boden in einem Chaos aus Haushaltsschrott anstieg und zu einem schmalen, müllübersäten Streifen Strand am Fuß der nahezu vertikalen Klippe wurde. Unter gierigen Atemzügen schleppten wir uns an Land, schlotternd vor Unterkühlung, fix und fertig von der Anstrengung des Tauchens. Keuchend sah ich mich um. Genau hier hatte ich die BueIl gefunden. Hastig streifte ich die Flasche ab, den Bleigürtel, die

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