Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alles total groovy hier

Alles total groovy hier

Titel: Alles total groovy hier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
Vom Netzwerk:
schwamm ein Stück weg vom Boot, um den Winkel zu ändern, und ging dann auf Tiefe.
    Die Welt reduzierte sich auf einen von meiner Stirn ausgehenden, beleuchteten Trichter, umgeben von finsterstem Nichts. Kein Links, kein Rechts, kein Oben, kein Unten. Einzig die seitlich an der Brille vorbeiperlenden Abluftblasen und der regelmäßig notwendig werdende Druckausgleich durch Backenaufpusten verrieten mir, dass ich mich weiterhin im Sinken befand.
    Schließlich erreichte der Lichtstrahl den Grund, strich über eine halb vom Sand begrabene Landschaft aus Kisten und Fässern, dazwischen lange und kurze Zylinder mit Spitzen vorne und Finnen hinten dran. Mit sachtem Flossenschlag überquerte ich ein komplettes Flugzeug, der Rumpf zermalmt unter einem Überseecontainer, die Türen des Behälters aufgesprungen und verbogen, drinnen Unmengen spiralförmig aufgewickelter oder lose verteilter Munition jeden Kalibers. Sie hatten tatsächlich nicht eher aufgehört, ihren Mist hier abzukippen, bis der Gipfel des Haufens fast aus der Wasseroberfläche ragte. Hier herumzutauchen und zu -leuchten gab einem das verunsichernde Gefühl, Zeuge eines unter Umständen lebensbedrohlichen Staatsgeheimnisses zu werden. Es war gruselig. Doch nichts im Vergleich zu dem, was ich als Nächstes entdeckte. Denn dahinter, auf dem blass aufscheinenden Fingernagelkranz rings um die Landseite der Bucht, wartete das Entsetzen. Es begann eher harmlos mit Reusen, hier und da schon wieder belegt mit krabbelndem Schalengetier. Gefolgt von einem Eimergewicht. Daran eine Kette. An der Kette die abgenagten Reste eines menschlichen Fußes, komplett mit Unterschenkelknochen. Weitere Gewichte folgten, umgeben von Knochen, Skelettteilen, manche noch mit Fetzen von Fleisch, Haut, Haar, Kleidung. Fische und vielbeinige Krustentiere nuckelten oder kauten daran herum. Manche scheuten zurück vor dem Lampenstrahl, andere ließen sich überhaupt nicht stören.
    Roxanne und ihre Freunde waren schlau genug, die Toten nicht über der Munition zu versenken. Irgendeinen Aufschlagzünder mit einem der Betongewichte getroffen und es hätte sie einen Kilometer hoch in die Luft geschleudert. Doch den Rand der Bucht hatten sie ordentlich bepflanzt mit ihren Topfblumen des Grauens.
    Selbst unter Umständen wie diesen, in einer so fremden, befremdlichen Umgebung ist die Wahrnehmung noch auf gewohnte Formen geeicht, und so zuckte ich gewaltig zusammen, als der Lampenstrahl kurz eine menschliche Gestalt streifte.
    Ich wagte kaum, den Kopf und mit ihm die Lampe zurückzudrehen. Tat es dann doch, nahe am Zittern. Es musste sich um eine der frischeren Leichen handeln. Gebläht von Verwesungsgasen schwebte sie am Ende ihrer Fußkette, sachte bewegt von der Dünung wie ein Luftballon von einer Sommerbrise.
    Doch damit stoppten die Ähnlichkeiten. Langsam drehte der Leichnam sich um, wie um nach mir zu schauen, und ich ruderte panisch rückwärts, was wohl einen Sog erzeugte, denn die schauerliche Gestalt neigte sich vor, als ob sie mir folgen oder nach mir greifen wollte. In meiner Hektik vergaß ich, einfach den Kopf zu wenden und mit ihm die Lampe, sodass mich bis heute in bestimmten Nächten immer mal wieder das Bild eines schlangenförmigen Fischs einholt, der sich unter Zuckungen in die linke Augenhöhle des Toten vorarbeitet.
    Mit äußerster Mühe würgte ich Aufsteigendes zurück.
    Mehrmals.
    Und in diesem Stil ging es weiter, Meter für Meter. Mich überkam eine Erschütterung, wie sie einen nach einem schweren Unfall packen kann, etwas nahe an Lähmung des Denkens und Handeins durch ein Hirn, das mit dem Verarbeiten nicht nachkommt, das durchdreht im Streben nach einer Befreiung von den Bildern. Gleichzeitig konnte ich mich auf eine unerklärliche Weise nicht sattsehen an all den grässlichen Details. Ich schwamm und starrte und schwamm und hatte vollkommen vergessen, was ich hier eigentlich gewollt, gesucht hatte, als ich ihn fand.
    Schisser. Erst war es nur ein großes Bündel am Boden. Dann blinkte etwas auf, das sich als die Stahlkappe eines Motocross-Stiefels erwies. Dann erfasste mein Blick nach und nach die ganze Gestalt.
    Anders als die anderen Leichen hier war er vollständig bekleidet, trug noch seine geliebte Dainese-Jacke, seine schwarzen Lederjeans, die Stiefel mit ihren so sorgfältig freigeschnittenen Stahlkappen. Ohne die Klamotten hätte ich ihn gar nicht erkannt. Nicht nach zwei Wochen im Meer.
    Anders als die anderen hatten sie ihn komplett eingewickelt, bevor

Weitere Kostenlose Bücher