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Alles über Elfen (German Edition)

Alles über Elfen (German Edition)

Titel: Alles über Elfen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
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dort allein mit ihm wärst« oder »Töte keine tragende Hirschkuh«) bis hin zu sehr komplexen Vorschriften, die auf Außenstehende willkürlich, rätselhaft und verwirrend wirken (»Flechte dir nach einem Regenschauer nie eine blaue Blüte ins Haar« oder »Trinke bei Vollmond keine Milch von Ziegen, wenn in jener Nacht ein Wandelstern über den Himmel zieht, es sei denn, du oder die Gefährtin deines Bruders hat die Ziege selbst gemolken und sich danach die Hände mit Sand gereinigt«).
    Unabhängig von ihrer jeweiligen Art sind Tabus unter den Elfen normalerweise sehr, sehr eng mit ihrer Geschichte und somit auch mit ihren Geschichten verknüpft. Wo es in menschlichen Gesellschaften leicht vorkommen kann, dass der genaue Grund für ein bestimmtes Tabu über die Generationen hinweg verloren geht, kennen die Elfen dieses Problem nicht: In aller Regel wissen sie sehr genau Bescheid darüber, warum sie einen bestimmten Ort meiden, eine spezifische Person so behandeln, als hätte sie nie existiert, oder einem konkreten Verhalten abschwören. Auch hier ist es ihre unglaublich lange Lebensspanne, die zum Tragen kommt. Zeitabläufe, die uns Menschen beinahe unfassbar lang erscheinen, sind aus elfischer Perspektive wesentlich überschaubarer. Nichtsdestominder sprechen sie nie gerne über Tabus, weder unter ihresgleichen noch mit Außenstehenden. Wer das nun als weiteren Beleg dafür sehen möchte, dass die Elfen generell dazu neigen, viel zu viel Aufhebens um allerlei Kleinigkeiten zu machen, dem gebe ich Folgendes zu bedenken: Wann haben Sie sich das letzte Mal unbefangen und zwanglos mit einem Wildfremden über das Sexualleben Ihrer Eltern unterhalten?
    Apropos Sexualität: Ausgerechnet in diesem Bereich hat Tolkien uns gewisse Einsichten in die Moralvorstellungen der Elfen gewährt. So ist unter den Elfen Liebe auf den ersten Blick nichts Seltenes – zwei junge Elfen begegnen einander und wissen vom ersten Augenblick an ohne jeden Zweifel, dass sie füreinander bestimmt sind. Diese Leidenschaft darf allerdings erst körperliche Erfüllung finden, sobald die beiden in einer Trauungszeremonie zu Eheleuten erklärt wurden (und allem Anschein nach ist dafür die Zustimmung der Eltern des Brautpaares wenn nicht unbedingt zwingend erforderlich, so doch dringend erwünscht, wenn man nicht eine gewisse gesellschaftliche Ächtung in Kauf nehmen will). Unter den Elfen, die Tolkien beschreibt, gilt also das Motto »Wahre Liebe wartet – und wenn nötig, dann tut sie das sogar ein paar Jahrhunderte«. Tolkien erklärt diese Tradition damit, dass der Geschlechtsakt unter den Elfen eine besondere Stellung einnimmt – es ist ein beinahe heiliger Vorgang, der in keinem Fall vor Zeugen vorgenommen wird und über den man generell in der Öffentlichkeit nur mit allerhöchster Zurückhaltung in Form stark verschleierter Anspielungen spricht. [Christiansen: Ungefähr so, wie in der Bibel oft von »einander erkennen« die Rede ist, wenn zwei Menschen Sex miteinander haben]
    Diese erstaunliche Keuschheit mag für den einen oder anderen überraschend sein. Dies hängt damit zusammen, dass viele Elfologen nach Tolkien stark von dessen Schilderungen abwichen, was die Beschreibung der elfischen Einstellung zur Sexualität anging. Bei ihnen findet man oft Formulierungen in der Richtung, die Elfen hätten einen zwangloseren und direkteren Zugang zu allen Fragen des Körperlichen. Dies fängt damit an, dass sie laut dieser jüngeren Beobachtungen kaum echte Scham kennen, was Nacktheit anbelangt. Und es endet in Erzählungen von Gelegenheiten, bei denen die Elfen zu feierlichen Anlässen ausschweifende Feste feiern, bei denen die einzige feste Regel »Alles kann, nichts muss« lautet (bisweilen auch mit rituellen Untertönen als eine Art »Feier des Lebens«). Auf die meisten menschlichen Besucher wirkt diese ungezwungene Offenheit allerdings vielfach nicht minder beunruhigend als die komplette Ausblendung der Geschlechtlichkeit in der Tolkienschen Variante.
    Hinsichtlich dieser Widersprüche in Bezug auf den Umgang der Elfen mit ihrer Sexualität möchte ich in aller Kürze zwei Punkte anreißen: Erstens sollten wir nicht vergessen, dass Tolkien sich in seinem Schaffen auf jene Elfenvölker zu konzentrieren schien, die eine (quasi-)mittelalterliche höfische Kultur europäischer Prägung pflegten. Nun waren menschliche Fürstenhöfe nicht immer unbedingt übermäßig keusche Orte, doch man sollte nicht vergessen, dass Sexualität dort häufig

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