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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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nächsten Tag zu tun sein würde. Fenster und Türen waren dicht, aber wegen des Lochs, das in der Küche klaffte, ließ sie die Lichter brennen, die brannten, sie hoffte, dass so auch die verbleibenden Stunden der Dunkelheit in Schach gehalten wurden. Sie kontrollierte ihr Handy. Von ihrer verwöhnten ersten Tochter weiterhin kein Lebenszeichen. Von Emma nochmals eine SMS, Sally antwortete mit einem Herz-Piktogramm, dann ging sie nach oben. Alfred schlief tief und fest, die Nachttischlampe brannte und warf einen schwachen Schein über die Unordnung im Zimmer und über den Schläfer, der sich in Kleidern und Schuhen hingelegt hatte, so wenig fühlte er sich zu Hause. Das Gefühl einer gescheiterten Expedition prägte die Atmosphäre im Zimmer, Alfreds Kopf lag neben dem Kissen, er speichelte auf das Leintuch, sein rechter Arm lag ausgestreckt auf Sallys Seite und griff ins Leere. Leise, damit Alfred nicht aufwachte, trat Sally zu ihm, sie löste die Schnürbänderund zog ihm die Schuhe von den Füßen, Socke und Gummistrumpf waren an den Risten feucht, wenigstens von der Socke befreite sie ihn. Alfred schlief unverändert mit hörbaren Atemzügen.
    Weil Sally spürte, wie ausgelaugt und benebelt sie war, verzichtete sie darauf, sich zu waschen. Sie war seit über zwanzig Stunden auf den Beinen und hielt sich nur mehr mühsam aufrecht. Ächzend kletterte sie in ihr Zimmer unter dem Dach. Dort stand an der hinteren Wand ein schmales Feldbett. Sally zog sich aus, legte sich hin und löschte das Licht. Im grünen Schimmer der Nachtbeleuchtung wühlte das Schildkrötenweibchen mit den Hinterbeinen im groben Sand des Aquariums. Das Klacken und Rasseln der gegen das Glas gewirbelten Körnchen hatte etwas Beruhigendes. Ansonsten war weit und breit nichts Einfaches in Sicht.

 
    4
     
    Es war der fünfte in einer Reihe von absolut schönen, blauen und heißen Tagen. Nachdem in der Nacht die vorhergesagten Gewitter erneut ausgeblieben waren, wartete Sally nun schon am Vormittag darauf, so schwül sirrte draußen der Sommer. Doch angeblich sollte das Wetter für zwei Tage halten, bis von Westen eine Kaltfront mit einem Temperatursturz eintraf. Für die verbleibenden Schönwettertage hatte sich Sally vorgenommen, die Zimmer der Mädchen frisch auszumalen. Die Maler, die dem unteren Stockwerk wieder zu Ansehen verholfen hatten, waren so freundlich gewesen, einen Kübel mit weißer Farbe dazulassen.
    Die Kinder sagten, sie fänden es gut, wenn das Haus ein wenig aufgemöbelt würde, doch große Hilfe leisteten sie nicht. Die Aussicht auf einen Tag in alten Kleidern und mit Farbspritzern im Gesicht langweilte sie, also beriefen sie sich darauf, dass Ferien waren. In der Früh scheuchte Sally Emma aus dem Bett. Mit dem Druckmuster des Lakens im Gesicht schaute sie ihre Mutter verständnislos an, dann tappte sie in ihrem rotgepunkteten Nachthemd, das ihr am Busen klebte, über den Gang und legte sich zu Alfred, um dort weiterzuschlafen. In der Familie war sie diejenige mit dem am schwächsten ausgeprägten Sinn für räumliche Integrität, schon als Neugeborenes hatte sie die Wärme anderer Körper erspürt und sich auf rätselhafte Weise zu ihnen hinbewegt.
    Auch Gustav ließ sich wenig später blicken, auf dem Weg zum Klo. Am Rückweg fasste er kurz mit an und half, Emmas Bett in die Mitte des Raums zu rücken. Dann war auch er in seinem abgedunkelten Zimmer wieder verschwunden.
    Sally schaffte das Bettzeug aus dem Weg, sie klebte die heiklen Stellen mit einem breiten Malerband ab, schließlich legte sie alte Zeitungen aus, deren Geruch mit dem Geruch der Farbe und dem speziellen Schuhschachtelaroma konkurrierte, das sich in Emmas Zimmer behauptete, seit Emma es bezogen hatte. Sally erinnerte sich, dass das Zimmer beim Einzug hellblau gestrichen gewesen war, es soll das Meditationszimmer der Vorbesitzerin gewesen sein. Sally steckte ihr Haar in einem Knoten auf dem Kopf zusammen, damit es nicht störte, dann tauchte sie den neuen Plüschroller in den Farbeimer und ging die Arbeit mit stillschweigendem Eifer an, in einem Ausbruch der gleichen trotzigen Energie, mit der sie seit gut einer Woche die Wiederherstellung der sogenannten Ordnung betrieb. Mehr als das, was sie leistete, konnte man beim besten Willen nicht in die Tage stopfen.
    Obwohl an die Stelle von Chaos allmählich wieder ein Gefühl für Ordnung trat, war an eine freie Zeiteinteilung noch immer nicht zu denken, der Hausstand wurde nach wie vor von einer Realität

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