Alles über Sally
Bruch gegangen waren. Nicht gerade das, was man ein sauber ausgeführtes Verbrechen nennt. Ein paar Scherben steckten noch im alten, rissigen Kitt.
Es wäre halb so schlimm, dachte Alfred, wenn die Arbeit freundlich ausgeführt worden wäre. Ein guter Einbrecher hätte ein Loch in den Rahmen gebohrt und das Fenster mit einer Drahtschlinge entriegelt. Aber das hier! Das war das Werk von Versagern.
»Danke für die frische Luft«, sagte Alfred bitter. Er lehnte sich hinaus in den Garten. Die Nacht empfing seinen erhitzten Kopf mit wohltuender Kühle.
Hinter ihm am Tisch saßen die Frauen und Erik, zwischen ihnen eine Flasche Schnaps, eine Vase mit Blumen und eine Schale mit Himbeeren, die Erik während des Wartens abgenommen hatte. Die Himbeeren verströmten einen Geruch, den Sally mit dem ferialen Glück früherer Jahre in Verbindung brachte. Es war beruhigend, dass es diese Dinge noch gab.
»Bevor’s uns jemand wegtrinkt!« sagte Erik mit trockener Bassstimme.
Alfred hörte die Gläser klirren, er seinerseits wollte das Ereignis nicht auch noch feiern. Erik setzte eins drauf, indem er das Sprichwort vom guten Leben in die Runde warf, das die beste Rache sei. Sagen das die Spanier oder die Chinesen? Vielleicht nicht die Chinesen. Dann gemischte Stimmen, die den unerhörten Vorfall als eher kleine als große Katastrophe einstuften. Kein Grund zur Besorgnis. Diese Einschätzung wurde durch überstandene Exempel aus dem gelebten Leben untermauert. Aber der Trost des Darüberredens kam Alfred in diesem Augenblick äußerst zweifelhaft vor. Ächzend wischte er sich den Schweiß vom rasierten Nacken, er fröstelte in der Zugluft.
Wie aus weiter Ferne hörte er Nadja sagen, sie würde auch gerne einbrechen gehen, aber halt so, dass es niemand merkt. Sie würde nichts kaputtmachen oder stehlen wollen, aber sich gerne umsehen. Eigentlich sei es ganz interessant, wie die Menschen leben, Wohnungen und Häuser könnten einem viel erzählen.
Alfred fühlte sich von Nadja seit jeher beunruhigt. Warum, das wusste er selber nicht genau. Ein bisschen lag es daran, dass ihn ihre offene Art einschüchterte. Er brauchtesie nicht allzu häufig in seiner Nähe, obwohl er am nächsten Tag immer viel aufzuschreiben hatte. Nadja war ergiebig, manchmal sagte sie gewagte Dinge.
War das jetzt ebenfalls ihre Stimme, die sich halblaut hob und senkte?
»Wenn wir einem Einbrecher in diesem Moment zusehen könnten, sähen wir ihn nicht bei einer asozialen Tätigkeit, sondern friedlich neben jemandem schlafen. Oder er würde gerade aufstehen, weil ein Kind, das sich im Schlaf den Kopf an der Wand gestoßen hat, im Nebenzimmer weint.«
Durch eine Wolke halber Betäubung hindurch hörte sich Alfred das Gespräch an, sein großes, finsteres Gesicht war fahl, ein beinahe alter Mann, schockstarr in der Verwirrung, und doch im Bemühen, tief hinten, die Wunde mit dem Verstand zu bandagieren. Du wirst es überleben! – Werd’ ich’s überleben? – Die Schultern verspannt, die Stimmung miserabel, unwirsch, erschöpft, empfand er nicht die geringste Neigung, sich die Einbrecher in ihrem Familienalltag vorzustellen. Man kann’s auch übertreiben, fand er. Er gähnte. Gleichzeitig stierte er weiter in die unregelmäßige Dunkelheit hinaus. Er merkte, er war hundemüde, und seine Müdigkeit ließ ihn die Verluste, die er an diesem Tag erlitten hatte, besonders schmerzlich empfinden.
Die Stimmen in seinem Rücken verschwammen, und auch seine Gedanken fransten an den Rändern aus, die Ränder rückten zur Mitte, dann rauschte es leer in seinem Kopf.
Als ein Gegenstand in diese Leere drang, von dem Alfred nicht wusste, ob er gestohlen war oder noch vorhanden,wandte er sich vom Fenster ab und verließ die Küche. Auf halbem Weg hatte er schon wieder vergessen, was er hatte suchen wollen. In seinem Schreibzimmer stellte er Bücher an ihren Platz, um die Welt zumindest auf dem Gebiet des Sichtbaren ein wenig zu verbessern. Wenig später saß er bei den anderen am Küchentisch, ohne sich erinnern zu können, wie er hierhergekommen war. Er trank scharfen Alkohol, zwischendurch schaute er mit der Miene eines Idioten, der seinen Nabel betrachtet, ins Gesicht seiner Frau. Er wunderte sich, dass jemand um diese Tageszeit noch lachen konnte. Husch, ein paar Bilder flatterten über den eingedunkelten Himmel seiner Erinnerung, scheue Vögel.
»Er ist ein sehr lebhafter Schläfer. Das widerspiegelt nicht gerade seine sonstigen Temperamente.«
Wer war das
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