Alles über Sally
Dienstboten war auf entspannte Weise zweckmäßig, ohne Unklarheiten, sie waren im Glauben erzogen worden, dass die Welt nur für sie da sei, und diese Ordnung stellten sie nicht in Frage. Sally hingegen hatte ständig Ärger mit Dienstboten, weil die Dienstboten nicht wussten, woran sie bei ihr waren. Befand sich Sally in der Nähe, lehnten sich die Hausmädchen und Botenjungen plötzlich gegen ihr Schicksal auf.
»Sie machen die Leute unglücklich«, hatte ein Vorgesetzter Sally ermahnt. »Es reicht, dass wir uns mit der Idee der Gleichheit herumschlagen. Aber verschonen Sie die armen Ägypter, die brauchen ihren Schlaf.«
Was für dürftige Begriffe! Das Wunder kann nur die Wirklichkeit der Gesellschaft sein, nicht der Einzelfall. Drum besser unzufrieden und schlaflos, als unwissend und glücklich. Das dachte sie.
Sonderlich gut kam sie mit dieser Einstellung aber nirgends an. Nicht nur der Hausmeister behandelte sie mit leisem Spott, es war, als spürten alle, dass Sallys Hang, sichmit den unteren Schichten zu solidarisieren, nicht nur ideologische Gründe hatte, sondern auch ihrer Herkunft geschuldet war, als uneheliche Tochter einer Dienstmagd.
Kurz dachte Sally an ihre Mutter. Wie meistens tat sie es mit schlechtem Gewissen, denn sie schaute auf Risa herab wie Am Abdon auf sie. Am ärgerlichsten war, dass Risa gegen sich selber redete. So unverständlich es war, es gab in Sallys Mutter konservative Strömungen und eine gefühlsmäßige Bindung an Werte, vor denen sie Ende der vierziger Jahre Reißaus genommen hatte. Zum Zeitpunkt ihrer Auswanderung war Risa in einem ähnlichen Alter gewesen wie Sally jetzt, dreiundzwanzig. Damals, 1948, hatten den Engländern billige Arbeitskräfte gefehlt, deshalb hatten sie in österreichischen Zeitungen inseriert und jungen Frauen Aufenthaltsgenehmigungen angeboten, wenn sie sich verpflichteten, mindestens vier Jahre in Haushaltsberufen zu bleiben. Risa war eine von Tausenden, die nach diesem Köder geschnappt hatten und hochgezogen worden waren in eine finstere Welt. Aber immerhin hatte sie den Versuch gemacht, eine Lebensmöglichkeit außerhalb des Wertesystems zu finden, an dem sie im Haus ihres Vaters beinahe erstickt wäre. Sallys Schwung und Ansporn, ein eigenes Leben zu führen, war stark von der Biographie ihrer Mutter inspiriert.
Jetzt jedoch, fünfzig geworden, sagte Risa Dinge wie:
»Wenn Männer kochen wollten, wären sie die besseren Köche als Frauen.«
Auf Sallys empörte Frage, warum sie einen solchen Unsinn verzapfe und sich selber und damit alle anderen Frauen herabsetze, gab Risa die Antwort:
»Weil es stimmt.«
Das war hart. Sally fiel es schwer, solche Aussagen beiseite zu schieben, sie ärgerte sich schrecklich über diesen gemeinen Verrat. Trotzdem nahm sie sich vor, ihrer Mutter in den nächsten Tagen wieder einmal zu schreiben. Bei dieser Gelegenheit konnte sie auch mitteilen, dass sie eine neue Adresse hatte. Komisch, sich vorzustellen, offiziell bei Alfred einzuziehen.
Komisch? Bei diesem Gedanken wäre Sally gerne noch ein wenig geblieben. Warum komisch? Aber Am Abdon, den Müllbeutel in der Hand, hatte sie bereits in ein Gespräch verwickelt. Ausnahmsweise thematisierte er nicht den undichten Abfluss, sondern den Zustand von Sallys Schuhen.
»Was machen Sie eigentlich mit Ihren Schuhen?« fragte er naiv. »Sind sie durchgetanzt?«
So wenig wie das verdrechselte Klassenbewusstsein von Sally vermochte Am Abdon nachzuvollziehen, warum Menschen, die Geld besaßen, weiter als hundert Meter zu Fuß gingen. Einem Botschaftsangehörigen war die ägyptische Verlobte davongelaufen, nachdem er von einem Wanderurlaub erzählt hatte. Die Frau hatte daraus den Schluss gezogen, dass er geizig war.
»Normale Abnutzung«, sagte Sally kleinlaut.
»Normal ist das nicht«, erwiderte Am Abdon streng. Er zupfte an seinem hennagefärbten Bart. »Ich kenne viele Frauen, deshalb weiß ich, wie Frauenschuhe altern: von innen.«
»Na, wenn das so ist«, sagte Sally kokett, »fahre ich heute mit dem Taxi.«
Sie hatte ohnehin nichts anderes vorgehabt.
Am Abdon sagte zufrieden:
»Da sieht man den guten Einfluss Ägyptens auf die Menschen.«
Sally wusste nicht, ob er sie auf den Arm nehmen wollte. Während sie darüber nachdachte, beobachtete sie ihr Gegenüber aufmerksam. Schließlich erwiderte sie freundlich:
»Ich selber altere nur außen.«
Der Hausmeister lachte schallend, dabei schraubte sich sein Hals ruckartig aus der weißen Galabija heraus und
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