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Alles über Sally

Alles über Sally

Titel: Alles über Sally Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Geiger
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die Kinder zur Seite sprangen. Dann schoss der Wagen in den Irrwitz des Kairoer Verkehrs hinein.
    Um mithalten zu können, musste Alfred sich den hiesigen Gepflogenheiten ein wenig anpassen, allerdings immer mit dem Vorsatz, nachzugeben, wenn es eng zu werden drohte. Die verrückten Ideen, die Haschischräusche und die Dummheiten der Verkehrsgegner mussten berücksichtigt werden. Erst vor wenigen Wochen war auf der Wüstenstraße außerhalb der Stadt Gottfried von Cramm tödlich verunglückt, das tat ein übriges, dass Alfred nicht fuhr wie ein Henker. Neuerdings schnallte er sich sogar an. Heute sterben, dachte er, das wäre fatal. Ich bin so gut wie bankrott, gesundheitlich ein Wrack, trotzdem scheint Sally auf mich zu stehen.
    Die Sharia al-Nil führte nilaufwärts zur Brücke des 6. Oktober, an deren Ende bog Alfred rechts auf die Corniche, dann flussaufwärts bis auf die Höhe der Qasr al-Nil Brücke, wo am Tahrir Platz das Zentrale Verwaltungsgebäude lag, die Muhamma’a. Alfred parkte in einer Seitengasse unter einer zehn Meter hohen Reklametafel mit dem Abbild von Präsident Sadat. Das letzte Stück ging er zu Fuß. Je näher er dem grau aufragenden, stalinistisch anmutenden Gebäude kam, desto heftiger meldete sich seine Gallenblase. Ägyptens Ämter waren für ihn nicht frei von unerfreulichen Assoziationen. Auch ohne Ausnahmezustand herrschte dort immer eine gewisse Nervosität.
    Gleich hinter dem Eingang geriet Alfred in eine Kontrolle. Es war eng, die Luft würgend, es ging überhaupt nichts vorwärts. Ein dicker Beamter, den man in einen Glaskäfig gezwängt hatte, schaute sich von jedem, der kam, die Papiere an. Alfred dachte, der Beamte muss Analphabet sein, so selten entsprang dem Durcheinander aus Köpfen jemand, der die Stelle passieren durfte. Alfred brauchte eine halbe Stunde, um zu dem Käfig vorzudringen. Dann blätterte der Beamte jede Seite des Passes um und konnte den Stempel der letzten Einreise nicht finden. Alfred hatte einen Zettel an die betreffende Stelle gelegt; aber der Zettel war dem Beamten sofort herausgefallen. So gingen allein für den Pass drei oder vier Minuten drauf. Am Ende machte der Beamte mit einem Kugelschreiber sowohl unter den Einreisestempel als auch auf das Formular mit dem Ansuchen ein Zeichen, ehe er Alfred durchwinkte. Drei Schritte weiter sah sich Alfred dem nächsten Beamten gegenüber, man hatte ihn strategisch klug gleich hinter dem Käfig platziert, um sicherzustellen, dass kein Besucher ohne das mysteriöse Zeichen auf seinen Papieren durch die Barriere trat. Der Beamte brauchte erneut eine Ewigkeit, bis er das Zeichen gefunden hatte. Nach dieser Hürde kam Alfred zu einer Beamtin, die den Besuchern den Weg zu weisen hatte. Sie strahlte Alfred an und stieß einige englische Wörter aus, die völlig unverständlich waren. Als Alfred auf Arabisch antwortete, konnte sie es nicht fassen, er musste alle Details seiner Familiengeschichte aufrollen, weil sie nicht glauben konnte, dass jemand, der aussah wie er, fließend Arabisch sprach. Sie dichtete ihm nie besessene Tugenden an und pries seine Vorfahren, von denen er selbernichts wusste, schließlich versicherte sie ihm, dass die Herzen ihrer Brüder und Schwestern öde und unnütz wie versiegte Brunnen sein würden, wenn er Kairo je wieder verließ.
    Alfred versprach zu bleiben, solange man ihm das Bleiben ermöglichte, necharak said, dein Tag sei glücklich. Entsprechend der Wegbeschreibung ging er zum gesuchten Büro, das er ziemlich abgekämpft erreichte. Es lag hinter einem Stiegenaufgang an einem schmalen Flur, der auf eine Kantine zulief.
    Vis-à-vis der Tür setzte sich Alfred auf eine Bank. Mit der verschüchterten Neugier, die Amtsgebäude erregen, sah er sich ein Weilchen um. In diesem abgelegenen Winkel war die Halle auch mitten am Tag recht düster, die Wände kahl, überall zerbrochene Pfeifen, abblätternde Farbe und zerfetzte Akten. Alfred war trotzdem der einzige, der diesen Anblick mit Verdrossenheit zur Kenntnis nahm. Für seine Nachbarn, die neben ihm saßen, stellte das Warten eine gesellschaftliche Gelegenheit dar, sie schlossen Freundschaften und erzählten einander ihre Lebensgeschichten. Nur am unteren Ende der Sitzbank war es ruhig, dort nähte eine junge Frau mit leuchtend schwarzem Haar Knöpfe an ein Hemd.
    Einige Augenblicke lang sah Alfred ins Leere. Kaum dass er Platz genommen hatte, war ihm schon langweilig. Zum Durcharbeiten des Isis-Artikels konnte er sich nicht aufraffen,

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