Alles über Sally
er wollte sie ganz für sich, für immer, nahm aber nicht an, dass sie damit einverstanden war.
Wenn er fragte, ob Sally bei ihm bleiben werde, gab sie ihm ausweichende Antworten.
»Woher soll ich das wissen?« sagte sie dann. »Am Anfang kann man doch noch gar nichts sagen, man geht irgendwie ins Ungewisse.«
»Hast du ein gutes Gefühl?« fragte er.
»Jedenfalls glaube ich nicht, dass es den Wert unserer Liebe im Nachhinein schmälern würde, wenn sie irgendwann wieder aufhört.«
Von unten vernahm Alfred das Radio des Hausmeisters, es stieß plärrend Nachrichten aus. Die Fieberkurve der nahöstlichen Konflikte stieg schon wieder an. Propaganda aus Ägypten mischte sich mit Propaganda aus Syrien, das Ganze garniert mit Krach aus dem Libanon, Stunk aus dem Irak und als Draufgabe unbrauchbare Vorschläge aus Saudi-Arabien und Provokationen aus dem Westen. Jetzt sprang auch das gefährlichste Wort aus der Unterwelt herauf, Israel! Israel! Israel! Und der Ton des Sprechers wurde männlich, noch viel männlicher als vorher, die Stimme drehte sich in heroische Erregung hinein, das war die täglich gleichbleibende Stimmverwandlung inmitten ansonsten wilder und völlig undurchsichtiger Emotionskomplexe in all den Wirren der arabischen Welt.
Alfred erhob sich ein wenig.
»Wenn die Berichte nicht lügen, kommt eine nächtliche Ausgangssperre. Auf der Sharia al-Giza sind in der vergangenen Nacht die letzten Nachtclubs ausgebrannt.«
Kurz darauf stand er auf und erinnerte Sally an das Bett von Am Abdon. Das sonnengewärmte Wasser aus dem Tank am Dach rann über Sallys von Speckröllchen weich gewellte Hüften die Beine hinab und endete als Spülwasser in der Bütte, die schon wieder nahe am Überlaufen war.
In der Küche rüttelte der Dampf am Deckel des Topfes, und während der Tee zog, saß Sally nur mit einem Handtuch bekleidet am Tisch und klopfte mit dem Messergriff heftig gegen den Brotlaib, aus dem Ameisen purzelten; während der Nacht hatten sie Straßen in den Laib gegraben, das war vorbildlicher ägyptischer Ingenieurgeist. Sally fegte die Ameisen mit der Handkante vom Tisch, der Tisch war schrecklich klebrig, sie dachte, ich sollte ihn wieder einmal abwischen, vielleicht übermorgen, da habe ich frei.
»Psst!« sagte Alfred. Seit Sally sich ein Handtuch umgebunden hatte, war er wieder zugänglich für Alltagsdinge. Er lauschte auf seinen eigenen Transistor, der jetzt ebenfalls lief. Das Gerät war auf BBC eingestellt, dort verkündete eine Frauenstimme die europäischen Wetterdaten. Wien wie üblich keine Erwähnung, dafür Budapest. Kein großer Unterschied: Minusgrade. Das war der tägliche Triumph.
»Wien ist ein Grab«, sagte Sally.
»Wenigstens haben gestern die Franzosen gezahlt«, stellte Alfred fest. »Ich freue mich, dass ich mich nicht getäuscht habe. Es zeigt auch wieder, wo die miesen Typen zu Hause sind.«
Alfred goss Tee in die Tassen. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Schüssel mit Wasser, ein silbernes Kinderpfeifchen weichte darin ein. Alfred hatte es am Vortag am Bazar gekauft, es war voller Dreck, eine klebrige, braune Masse, aber interessant, da es auf erstaunliche Weise englischen Bootsmannspfeifen glich.
»Ich hoffe, ich bekomme morgen meine Museumsbewilligung«, sagte er.
»Das glaube ich nicht«, gab Sally zur Antwort.
»So kindisch werden sie nicht sein, dass sie mir die Bewilligung nur aus Spaß an der Freude auf ewig verweigern.«
»Denkst du«, sagte sie. »Die können noch viel kindischer sein, und sind es auch.«
Das moderne Ägypten war in vielen Aspekten ein weißer Fleck auf den ethnographischen Landkarten, Alfred versuchte, diese Flecken zu kartographieren. Für die Dokumentation seiner Erkenntnisse benötigte er Vergleichsmaterial, doch obwohl er hier seit zwei Jahren sein Unwesen trieb und die völkerkundlichen Museen in Wien und Berlin als Einkäufer belieferte, verweigerten ihm die Verantwortlichen am Österreichischen Kulturinstitut die Unterstützung, die er brauchte, um Zugang zu den Depots der Kairoer Museen zu erhalten. Offiziell galt Alfred als Tourist. Dabei veröffentlichte er beinahe monatlich einen Artikel, und seine Wohnung war Durchgangslager und Stapelplatz für Erwerbungen von musealem Rang . Selbst in der Küche herrschte eine kunstlose Unordnung. Neben kupfernen Kochtöpfen und Pfannen und mehreren Kerzen, die in Flaschenhälsen auf den nächsten Stromausfall warteten, hingen bestickte Sinai-Kleider und paillettenverzierte Burkas, eine Kiste
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