Alles über Sally
senkte sich wieder hinein. Kaum zu glauben, dass die körperlose Zunge, vor der Sally nachts Angst hatte, wenn sie ins Bad ging, diesem Mann gehörte.
Am Abdon trat vor das Haus, er rief ein Kind zu sich und befahl ihm, es solle um ein Taxi laufen. Schon wieder eine dieser Dienstleistungen, die Sally nicht mochte. Sie drückte Am Abdon drei Piaster in die Hand für den Buben, der zur Sharia al-Nil gelaufen war. Dann saß sie im Fond des Taxis auf dem Weg nach Garden City, wo das Österreichische Kulturinstitut seine Residenz hatte. Sie dachte daran, dass sie im Herbst noch mit dem Fahrrad gefahren war, von Bulaq aus, sie hatte sich ein schlichtes Fahrrad gekauft, weil sie nicht länger auf die ständig überfüllten Busse angewiesen sein wollte.
Bitterwenig war dabei herausgekommen. Keine Woche hatte sie durchgehalten. An anderen Orten lauern andere Realitäten. Autofahrer hatten sie beschimpft und bedroht, Sally war geschnitten und abgedrängt worden, lauter solche Mätzchen. Nicht nur einmal hatte sie sich auf einen der Gehsteige retten müssen, offenbar schlug ein am Sattelrutschender Frauenhintern allem ins Gesicht, was von Männlichkeitswahn und Bigotterie angefault war. In den Augen der rückständigen Kräfte fuhr Sally mit ihrem Fahrrad auf das offene Höllentor zu, und dieselben rückständigen Kräfte waren gerne bereit, ihr zu helfen, den Weg dorthin abzukürzen.
Am Anfang empfand Sally die Aggressionen, die sie weckte, wie einen Ruf zu den Waffen. Sie sagte sich, euch werd ich’s zeigen, so leicht schüchtert mich keiner ein! Schaut her, ich bin das Mädchen aus der Zukunft, die Sonne des neuen Lebens, ich bin die leibhaftige Propaganda für eine Lebensart, die ihr nicht aufhalten könnt! Passt auf, bald machen sich Gleichheit und Liebe auch auf euren Straßen breit!
Doch insgeheim stand sie Todesängste aus, und eines Morgens, nachdem eine brennende Zigarette aus einem offenen Wagenfenster geflogen war und sich in ihrem Haar verfangen hatte, warf sie das Fahrrad in einem Zornanfall hin und ließ es liegen, als Sinnbild gewisser Hürden im revolutionären Prozess, als Beleg dafür, dass das Verändern der Welt bedenklich schwierig ist.
Nachdem auch Alfred sich gewaschen hatte, kehrte er in die Küche zurück. Er holte sein Tagebuch hervor, das gut verwahrt in einer Kiste lag, im Besenschrank zuunterst. Voller Stolz auf sein Leben mit Sally setzte er sich an den Platz, an dem Sally gefrühstückt hatte, die Zeit reichte zwar nur für einige mit Bleistift hingeworfene Halbsätze, aber am Abend würde er sich an diesen Sätzen orientieren können. Nach wenigen Minuten legte er das Tagebuch zurückin die Kiste, zur Tarnung warf er einen Putzlumpen darüber. Anschließend stopfte er zwei halbfertige Artikel in seine Aktentasche, damit er beim Herumsitzen vor der Amtsstube etwas hatte, mit dem er sich beschäftigen konnte. Seine Fahrerlaubnis musste verlängert werden, sie lief Ende der Woche ab. Im sicheren Gefühl für die ägyptische Bürokratie hatte er den ganzen Vormittag reserviert, er fand, das war genau das richtige, wenn einem der Magen knurrte.
Mit der Tasche unter dem Arm ging er hinüber ins Nachbarhaus. Auf Vermittlung Am Abdons besaß er dort seit Anfang des Jahres einen Unterstand für sein Auto, der Hausmeister hatte sich für das täglich eingestaubte Auto vor dem Eingang geschämt und für Abhilfe gesorgt. Selbst Alfred, der normalerweise nicht pingelig war, hatte bei Botschaftsbesuchen immer außer Sichtweite geparkt, man kann sich vorstellen, in was für einem Zustand sich das Auto befunden hatte. Jetzt, da es immer gewaschen war, fuhr es sich wesentlich angenehmer. Hergeschaut, hier kommt Alfred! Das war ihm zehn Pfund im Monat wert. Sein Wagen wurde in der Garage auch nicht gerückt und herumgeschoben, das hatte Alfred zur Bedingung gemacht. Und durch die günstige Lage neben einem Pfeiler konnte der Zephyr beim Herumschieben der anderen Autos auch nicht beschädigt werden. Die Zeit in Kairo war für das zehn Jahre alte Vehikel so oder so kein Kuraufenthalt.
Unter den Zurufen von Mustafa, der die Garage betrieb, rangierte Alfred den Zephyr aus der Ecke. Als der Wagen im Freien war, durften die herumstehenden Kinder auf den Hupring drücken, sie lachten sich halbtot, so tollfanden sie das. Leider machten sie mit ihren Nasen die sauberen Scheiben gleich wieder dreckig. Als die verchromte Verzahnung der Wagenschnauze in die Straße lugte, kam die Hupe nochmals zum Einsatz, damit
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