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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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war: Geld, Papiere und das frühe Bild seiner Mutter, in Goslar auf der Kaiserpfalz gemacht: Wie sie da auf der Mauer sitzt, den Rock weit um sich her gebreitet.
    Und auch das Bild seines Vaters, eines Mannes, den er nie gesehen hatte, und von dem er nichts weiter wußte.
    Hinaus! Hinaus ins weite Land! Ein letzter Blick, die Steppdecke von seinem Bett gegriffen, die Schlüssel in den Briefkasten geworfen und fort!
    Ja, er hätte es vorgezogen, mit den Globigs davonzuziehen.Aber es hatte nicht sein sollen. Man hatte ihn nicht aufgefordert, das war nun einmal nicht zu ändern. Hatte sich nicht ein familiäres Verhältnis herausgebildet? Gehörte man nicht zusammen? «Es ist vielleicht besser so», sagte er laut. «Vielleicht ist es wirklich besser so.»
    Als er an Georgenhof vorüberfuhr, machte er einen langen Hals. Dem Soldaten neben ihm sagte er: «Dort liegt Georgenhof.»
    Drygalski war nicht zu sehen, und auch nicht die Fremdarbeiter im Waldschlößchen, das man im Frieden mal hätte besuchen sollen, bei warmem Wetter, zu Kaffee und Kuchen. Treckwagen standen auf dem Hof, und fremde Menschen gingen aus und ein. «Auf Georgenhof habe ich viele schöne Stunden verlebt», sagte er leise zu sich selber, derweil sich bereits die ersten gelben Eiszapfen unter dem Wagen zeigten. Der Koffer des Balten! der fiel ihm jetzt ein, die Heimatchronik ... Eben stürzte er in das Haus hinein, und er nahm ihn an sich. Der würde zu retten sein! Um Gottes willen, wenn er den nun vergessen hätte! Stand er denn nicht im Wort?
     
    Peter streifte umher. Durch die Hauptstraße, die nach Adolf Hitler genannt worden war, fuhren weißgestrichene Panzer mit Waffen-SS in weißer Tarnkleidung. «Rechts ran! » wurde gerufen, und die Pferde vor den Treckwagen stiegen hoch.
    Sie fuhren den Russen entgegen, die tapferen deutschen Soldaten. Waren denn die Reserven unerschöpflich? Vor der Stadt hielten sie auf freiem Feld, auf dem noch Reste eines Jahrmarkts standen, und freundliche SS-Männern spendierten den Kindern Bonbons. Ein Junge hatte Glück, der durfte sogar hinaufklettern auf den Turm.
    Dann fuhren sie ab, die schweren, unförmigen Dinger. Kleinwar das Gebiet, auf dem sich die Deutschen zusammengedrängt sahen, und es wurde immer kleiner! Desto leichter zu verteidigen! stand in der Zeitung. Keine Angst!
    In der Hauptstraße lag noch lange der blaue Dieselqualm der Kampfmaschinen.
    Jetzt gaben auch die restlichen Läden alle Waren frei.
     
    Vielleicht war dies der richtige Zeitpunkt weiterzuziehen. Das Tantchen meldete sich ab bei dem Polizisten, der ihr alles Gute wünschte. Sowie er was hört über diesen Wladimir, meldet er sich. Er hatte momentan sehr viel zu tun: Allerlei Diebstähle waren gemeldet worden – da gab es Leute, die gingen von Haus zu Haus und plünderten! –,und sogar ein Mord war passiert!
     
    Am nächsten Morgen wurden französische Kriegsgefangene durch den Ort geführt. Mit Schals um den Kopf, die Hände in den Taschen. In dem dichten Schneetreiben sah das ein bißchen so aus wie 1812. Im Gleichschritt marschierten sie, still, mitten auf der Straße, und der Wachmann mit seiner langen Flinte ging hinterher, im gleichen Schritt und Tritt. Einer, links vorn, trug eine Laterne, damit die Autos wissen: da kommt ein Trupp Franzosen, bloß nicht überfahren, diese Leute. Das sind anständige Kerle, gegen die haben wir nichts.
    Die Frauen mit ihren Einholenetzen sahen ihnen nach. Ein alter Mann versuchte Schritt zu halten, daß er im vorigen Krieg in französischer Gefangenschaft war, wollte er ihnen sagen, und er holte Zigaretten aus der Tasche und hielt sie ihnen hin.
    Zigaretten, nein, Zigaretten hatten sie genug, sie zogen ja sogar den Wachmann mit durch. Die Zigaretten soll er man behalten. «Bon jour! » rief er ihnen nach. Beim Bauern hatte er gearbeitet, 1917, am Fuße der Pyrenäen, und zum Frühstück hatte es Rotwein gegeben. Das war an sich eine schöne Zeit gewesen.
    Peter hatte die Franzosen schon in Albertsdorf gesehen, wie sie mit Wladimir zusammen den Wermut tranken. Sollte man sie fragen, wo Wladimir steckt? Kaltblütig den Wagen stehlen? Von den beiden Braunen hatte man sich nicht einmal verabschieden können.
     
    Ehe Peter noch daran dachte, die Franzosen auszufragen, waren sie schon in der Schneedämmerung davon.
    Das Tantchen sagte: «Da bist du ja. Unseres Bleibens ist hier nicht mehr länger.»
     
    Der schlesische Herr ließ sich nicht mehr blicken, und es war gar nicht so einfach, den
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