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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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Form verliert. Zisch! ins Wasser damit.
    Wenn er dem Hahn außer der Reihe ein paar Körner hinhielt, hatte sie oben in ihrem Zimmer ans Fenster geklopft, mit dem Fingerring. Den Hahn braucht er nicht zu füttern, daß die Tiere genug Futter kriegen, bedeutete das. Der kriegt jeden Tag sein Teil.
     
    Als er sich besonnen hatte und wieder auf die Straße zurück ging, wurde die Kutsche bereits geplündert, die Leute wichen zurück, wie Geier es tun, wenn ein Kojote naht. Er stand unschlüssig neben den Trümmern, die Hand um das Fernglas gekrampft. Eine freundliche Frau hielt einen Augenblick an, als sie ihn da so alleine stehen sah, er soll schnell hinten draufspringen auf ihren Wagen, und von dort streckten sich ihm bereits Arme entgegen.
    Aber nein, er kann hier nicht fort. Er kann doch nicht alles so herumliegen lassen?
     
    Da kamen die gefangenen Franzosen anmarschiert. Links, links, links .... Sie hielten nicht inne. Im Vorübermarschieren guckten sie sich das Malheur an. Links, links, links, zwo, drei, vier!
     
    So was kannten sie, getötete Pferde, eine umgestürzte Kutsche? Wie die Alte Garde 1812, immer schön zusammenbleiben, im gleichen Schritt und Tritt. – Der Wachmann blieb einen Augenblick stehen. «Bist du allein?» fragte er gutmütig. Und es war für Peter schwer, die Tränen, die ihm bei diesen Worten augenblicklich in die Augen schossen, zu verbergen. Sollte er denn mit den Franzosen gehen?
    Er suchte ein paar Sachen zusammen, den großen Koffer der Tante, seinen Rucksack und das Mikroskop.
    Die Laute? Ein Wagen war darübergefahren und hatte sie zerquetscht.
     
    Als er dabei war, die Sachen zusammenzusuchen, wurde er von einem Volkssturmmann gefragt, Heil Hitler, ob er hier plündert oder wie oder was? Er soll bloß zusehen, daß er Land gewinnt, sonst macht er Meldung! – Das Globig-Wappen an der herausgefallenen Tür sagte dem Mann nichts.
    Wurst und Brot stopfte Peter in den Rucksack, er nahm das Mikroskop unter den Arm und ging, den Koffer hinter sich herziehend, davon.
    «So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen ... », ging es ihm durch den Sinn. Merkwürdig, er hatte den Knall der Bombe gar nicht gehört.
    «Du mußt dafür sorgen, daß das tote Pferd hier wegkommt, das kann hier nicht liegenbleiben», sagte der Volkssturmmann noch und knirschte davon.
     
    Hinter der Kirche lag das Pastorat. Der Pastor hieß Schowalker, ein Mann mit kurzgeschnittenen Haaren, die im Nacken nichtsdestotrotz kraus auswucherten.
    Er hatte die Toten in die Kirche getragen, nun nahm er Peter mit in die Küche.
    Hier war alles sauber aufgeräumt, kein Krümel, nirgends. Im Herd brannte ein lindes Feuer, Töpfe an der Wand, einer neben dem anderen. Von der nahen Straße hörte man die Wagen knirschen, die Rufe der Fahrer; hier drinnen war alles still und fein.
     
    Der Pastor holte Bürste und Seife, und dann wuschen sie sich das Blut der Tante von den Händen. Die Hand hatte Peter zum Munde geführt, und dabei war ihm etwas geronnenes Blut an die Lippen geraten. Bin ich mit ihr verbunden? dachte er.
    Auch auf dem Mantel hatte Peter einen Blutfleck. Den konnte man bei Gelegenheit ja immer noch auswaschen.
    Der Pastor fragte nach den Personalien der Tante. Helene Harnisch, geboren 1885 ...
    Das schrieb er auf ein Stück Pappe und zog einen Bindfaden durch. Das würde er der Frau ums Handgelenk binden, um das noch existierende Handgelenk.
     
    Sie saßen am Küchentisch. Er setzte Peter ein Glas warmen Holunderbeersaft vor, und dann aßen sie von Peters Wurst. «Im Dorf ist niemand mehr», sagte der Pastor. «Gestern sind alle Wagen davongezogen.» Er rieb sich die blaugefrorenen Hände. Frau und Tochter hatte er schon im Herbst, nach dem Einbruch der Russen bei Gumbinnen, ins Ruhrgebiet verfrachtet. Nun auch schon lange keine Nachricht mehr. Die Bombenangriffe dort? Ob sie wohl noch lebten?
    Immer gedacht, ich muß hierbleiben, aber jetzt, was sollte er jetzt noch hier?
    Er fragte Peter um Rat: Was meine er, ob er auch fortgehen soll?
    Er zeigte ein Foto von Frau und Tochter, das über dem Küchentisch an die Wand gepinnt war. Eine ganz normale Frau undeine ganz normale Tochter. Er entfaltete die bunte Touristik- Straßenkarte einer Autofirma und zeigte Peter, wo man sich hier eigentlich befand. «Hier liegen wir, dort liegt Danzig.» Das Haff war nur noch wenige Kilometer entfernt. Und er zeigte ihm, wie die Russen mit ihren Panzern von Süden über Allen- stein bis an die Küste durchgestoßen
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