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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst
Autoren: Walter Kempowski
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Wallach wiederzubekommen. Der sei schon verkauft! sagte man ihr. Der Herr Sowieso habe ihn gestern verkauft. Und der Schlüssel zur Feuerwache war momentan gerade nicht zur Hand.
    Das Tantchen wollte schon zur Polizei laufen, da sagte man ihr, sie könne das Tier ja zurückkaufen, man mache ihr einen schönen Preis?
     
    Also legte das Tantchen das Geld hin und zog mit dem dankbaren Tier ab. Es schlug mit dem Schweif und guckte durchaus nach vorn!
    Dieser Mann sei ein richtiges Schwein gewesen, sagte das Tantchen zu Peter. Der stammte ja auch nicht aus ihrem lieben Niederschlesien, sondern aus Ober schlesien, wo’s von Polacken wimmle.
    «Es ist alles nicht so einfach.»
     
    Von den Nachbargefährten auf dem Sportplatz verabschiedete man sich, Heil Hitler, und von dem Parteimann, dem das Wappen auf der Kutschentür so imponiert hatte, ohne daß er sich’shätte anmerken lassen. Heil Hitler. Und dann hieß es hü!, und der Wallach legte die Ohren an.
    Nie! nie wieder würde sie sich so reinlegen lassen, sagte das Tantchen laut. «Dieser miese Kerl!»
    Das hatte sie auch zu den Leuten an der Feuerwache gesagt, aber die hatten geantwortet: «Wenn Sie das noch einmal sagen, wird das Weiterungen haben.»
     
    Auf der Hauptstraße kamen ihnen die ersten Trecks aus dem Westen entgegen. Zurück! Zurück! hatte es vor Elbing geheißen. Hier geht es nicht weiter. Wenn die Leute das vorher gewußt hätten, dann hätten sie ja gleich dableiben können. Von den Kutschböcken beugten sich die Frauen zum Tantchen hinüber, das immer stur nach Westen fuhr: «Zurück! Hier geht es nicht weiter.»
    Aber das Tantchen wollte ja gar nicht nach Elbing, die hatte ganz andere Pläne. Und mancher tat es wie sie, der fuhr weder nach Osten noch nach Westen, der wollte sein Heil am Haff suchen, und dort übers Eis auf die Nehrung.
    Am Haff würde man ja vielleicht auch die restlichen Urlaubermarken abkaufen können?
     
    Daß in diesen Stunden auch Onkel Josef mit den Seinen durch das Städtchen fuhr – Richtung Osten, nach Haus! nach Haus! –, war nicht zu ahnen gewesen. Albertsdorf, so viele schöne Jahre dort verlebt ... Mit Frau und drei Töchtern. – Nie wieder würde man etwas hören von ihm.

Unterwegs
    S ie zuckelten unter dem grauen Schneeschleier langsam dahin, der Wallach hatte sich am Hafer gesättigt, der war kaum zu halten, aber die Wagenreihe konnte nicht überholt werden, einer hinter dem anderen. Warum die so langsam fuhren, war ein Rätsel. Am Straßenrand lagen Tote, manche saßen erstarrt an einem Chausseebaum; Greise, die nicht weitergekonnt hatten, und kleine Kinder.
    Peter war sehr müde. «Das macht die frische Luft», sagte das Tantchen, «leg dich man hinten rein», sie schafft das schon allein. «Sind wir bis hierher gekommen, dann kommen wir auch noch bis ans Haff!»
    Sie korkte eine Flasche auf, setzte an und nahm ein paar Schluck, und sie tat das so, als sollte sie dabei fotografiert werden. «Tantchen in Aktion.» Daß auch so etwas in ihr steckte, hätte keiner gedacht.
     
    Peter lag im Stroh, von Decken und Mänteln bedeckt. Er war müde, vor Müdigkeit war er fast bewußtlos, eisig und schwitzig. Und wenn er sich bewegte, weil es irgendwo drückte, dann machte ihn das nur noch müder und er sank sofort wieder zurück, und er vergaß, wo er war.
     
    Ab und zu gab’s Halt, Militärlastwagen fuhren vorüber, in die entgegengesetzte Richtung. Danach ging’s weiter. Immer wieder mußte angehalten werden. Man hörte das Schimpfen der Menschen, Rufen ... Das Tantchen schimpfte auch,ja, sie fluchtesogar, und ab und zu ein Schluck aus der Pulle. Über das Haff und dann die Nehrung entlang, dieser Weg nach Westen war noch offen.
    Das Tantchen auf dem Kutschbock. Sie stellte sich vor, daß man Wladimir aufgreifen würde und gebunden vor sie hinstellen – zu Straßburg auf der Schanz’ – und was sie dann sagen würde ... «Er hat zwar alles umsichtig vorbereitet, aber er hat uns im Stich gelassen.»
    Und dann zählte sie es sich her, was alles auf dem Wagen gelegen hatte. Aber sosehr sie auch nachdachte, ihr fiel nur ein, daß Wladimir eine schwere Kommode in Georgenhof im letzten Augenblick noch wieder abgeladen hatte. Georgenhof, die Krähen auf der Eiche und der schiefe Morgenstern.
     
    Was Katharina wohl sagen würde eines Tages: «Das Tantchen hat es ganz allein geschafft ... Sie ist über sich hinausgewachsen.» – Es war ein Frohlocken in ihr. «Wie wach das Tantchen war! » würde Eberhard sagen.
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