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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wieder was gehört von diesen Männern. Aber die Liebe, die man an sie gewendet hatte, war gewiß nicht vergebens geflossen.
    Eberhards letzter Urlaub, im August, im Garten unter der Blutbuche hatten sie gesessen, Onkel Josef aus Albertsdorf war herübergekommen und die liebe Hanna mit den Kindern, und sie hatte auf der Laute die alten Lieder ihrer Jugend gespielt, und alle hatten mitgesungen ...
    Ein Sommerabend mit Bowle unter der Blutbuche. Katharina war zeitweilig nicht dagewesen. Die war dann irgendwann aus dem Sommersaal herausgetreten mit Sarkander, dem Bürgermeister von Mitkau. Und Eberhard hatte allein im Wald nach dem Rechten gesehen. Das hatte sie gewundert. Alles schon so lange her?
    Das Tantchen las die Zeitung, von ihrer Lesebrille fehlte ein Bügel, und was sie da las, war nicht beruhigend. Im Osten braute sich was zusammen. Wer konnte es denn wissen? Vielleicht würde man von hier fortgehen müssen, wie im ersten Krieg die alten Globigs es mußten?
     
    Sie zog einen großen Koffer unter dem Bett hervor. Mit diesem Koffer war sie damals nach Georgenhof gekommen, und man hatte gesagt: «Du kannst in das Giebelzimmer ziehen, mach dich ein bißchen nützlich!» Über zwanzig Jahre war das jetzt her. Und jetzt gehörte sie zum Inventar, wie gescherzt wurde. Kriegte ein Taschengeld, hatte Logis und Essen frei und kümmerte sich um alles.
    Sie öffnete den Schrank und nahm Wäsche heraus und schichtete sie in den Koffer. Einiges davon war gestopft und geflickt,anderes war noch nie benutzt worden, die Taschentücher waren sogar noch mit rosa Bändchen zusammengebunden.
     
    Sie nahm Briefe aus dem Sekretär und legte sie in den Koffer. Auch Fotos tat sie dazu. Dann schloss sie ihn ab und schob ihn wieder unter das Bett.
    Sie setzte sich in ihren Sessel. Hatte sie noch was vergessen? Die Laute! Sie nahm das Instrument von der Wand und legte es neben den Koffer. So war man denn nun für alles gerüstet.
     
    Das Tantchen schenkte sich einen Pfefferminzlikör ein.
    Auf der Straße fuhr ein einzelnes Auto in Richtung Mitkau rasch vorüber, dann folgten andere und schließlich Lastwagen, auch Panzer, einer hinter dem anderen, die Glasperlen der Lampe klirrten. Dann trat Stille ein.
     
    Nun ließen sich aus Mitkau die Sirenen hören: Fliegeralarm. Die Globigs reagierten nie auf dieses Zeichen, was hätten sie auch tun sollen? Im Sommer bei Gewitter Wasser bereitstellen und sich auf den Hof stellen, ja, das war was anderes, aber Flieger? Im Keller stand Wasser, der war unbenutzbar. Was hätte man tun sollen? In den Wald laufen? Ja, aber doch nicht jede Nacht.
    Ein einsames Flugzeug brummte jetzt über die Häuser hinweg: Es kam näher und entfernte sich wieder. Über den schwarzen, von Sternen besetzten Himmel fingerten wie Polarlicht Feuerzeichen. Auch ein Scheinwerfer durchtastete die Dunkelheit, und in der Ferne schickte leichte Flak eine Schlinge gelbe Leuchtspurgeschosse in die Finsternis. Es gab vier Detonationen, eins, zwei, drei, vier, und die schwere Flak von Mitkau begann zu schießen. Dann wurde es still, und das einsame Flugzeug flog davon, leiser und leiser wurde es. Dem Bahnhof inMitkau hatten die Bomben gegolten, nun brannte er, und die Strecke war mal wieder unterbrochen.
     
    Das Tantchen blieb noch eine Weile sitzen, über Mitkau wehten Flammen in langen Zungen zum Himmel. Sie horchte in die Nacht hinaus, bis endlich von fern die Entwarnung herüber- heulte.
    Dann trank sie den Pfefferminzlikör und ging zu Bett. Daß wieder eine Panzerkolonne vorüberratterte, hörte sie schon gar nicht mehr.

Peter
    P eter lag im Bett, Unterbett, Oberbett und zwei Kissen. Über dem Bett ein Bord mit seinen Büchern. «Durch das Land der Skipetaren». Gern sah er sich alte Jahrgänge der «Fliegenden Blätter» an, die er auf dem Dachboden gefunden hatte. Karikaturen von Sonntagsjägern, von meist betrunkenen Korpsstudenten und jungen Leutnants, die mit ihrem Pferd nicht zurechtkommen.
    An diesem Abend las er die Geschichte eines Schiffbrüchigen, der nicht aufgegeben hatte, sondern immer weiter und weiter gepaddelt, bis endlich eine rettende Insel in Sicht kam.
     
    Er stellte sich vor, er läge in einer Segelschiffskoje, es röche nach Teer, und das Knarren des Takelwerks ... «Der Untergang der Palmyra», dieses Buch hatte er gelesen, und das beschäftigte ihn. Nie aufgeben! das war die Devise.
     
    Ist das Ziel auch noch so hoch,
    Jugend zwingt es doch ...
     
    Auch Peter hatte den Fliegeralarm in Mitkau

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