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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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gehört und die vier Detonationen, eins, zwei, drei, vier. Und er hörte die Panzer, die auf der Chaussee gen Osten fuhren. Das Haus bebte! Sie fuhren vorüber, einer hinter dem andern. Große schwarze Schatten mit Funken aus dem Auspuff, das Rattern der Ketten, das Aufheulen der Motoren. Bei Tage kriegte man die Dinger nicht zu sehen, und jetzt nahm man auch nur Schemen wahr.
    Seine Kammer lag neben dem Giebelzimmer der Tante. Von Weihnachten her war auf dem Fußboden noch die Eisenbahn aufgebaut, ein großer Kreis mit Blechbahnhof. Zwei neue Wagen waren dazugekommen, ein Mitropa-Speisewagen und einer für Langholz. Peter hatte die Bahn auf den Flur hinausgelegt, durch das Katzentürchen hindurch, und auch dort im Dunkeln beschrieb die Bahn einen Kreis. Wenn sie hinausfuhr und nach einer Weile wieder hereinkam, ließ er sich auf die Knie herab und sah ihrem Kommen entgegen. Manchmal blieb sie draußen stehen, dann mußte sie aufgezogen werden. Hin und wieder kam es auch zu Kollisionen mit dem Kater, der sich unbedingt durch das Türchen an dem Zug vorbeiquetschen wollte. Ein sonderbares Tier. So recht wußte niemand, was in ihm vorging.
     
    Unter der schrägen Zimmerdecke hingen Flugzeugmodelle aus Papier, die Peter ausgeschnitten und zusammengeklebt hatte, deutsche und englische. Eine Vickers Wellington und eine Spitfire, die Me 109 und Richthofens rotes Dreiflügel-Dings. Diese Maschine paßte nicht so recht zu den anderen, die stammte aus einer ganz anderen Zeit! Aber Peter hatte sie nun mal, und da konnte sie denn auch ruhig hängenbleiben. Ein feiner Windzug vom Fenster her bewegte die Modelle leicht gegeneinander. Mit seiner Luftpistole schoß Peter manchmal danach, aber er schoß immer so, daß er sie nicht traf. Um die schönen Modelle wär’ es schade gewesen, so lange daran gearbeitet! Im Zugwind des Projektils schaukelten sie ein wenig.
     
    Auf dem Tisch stand das Mikroskop: Salzkörner ansehen, Zukkerkristalle, alles schön und gut, das kannte man nun. Neben dem Gerät stand ein Weckglas mit Heusud, Peter wollte das unsichtbare Leben in dem Aufguß beobachten, aber noch war dieSache nicht «reif», eine Welt für sich sei das, mit Fressen und Gefressenwerden, Geburt und Tod, hatte Dr. Wagner gesagt.
     
    Auf dem Fensterbrett lag das Fernglas des Vaters. Hier das Mikroskop, dort das Fernglas. Wenn die Krähen von der Eiche aufflogen, zählte er sie. Auch den Keil der Wildgänse verfolgte er mit dem Glas: Neuerdings zogen sie wieder nach Norden. Was hatte das zu bedeuten? Mitten im Winter?
     
    Fahrt ihr nach Süden übers Meer,
    Was ist aus uns geworden?
     
    Mit dem Glas kontrollierte er mehrmals am Tag sein Baumhaus, ob es noch in Ordnung ist. Er hielt auch die Siedlung unter Kontrolle. Frauen, die steifgefrorene lange Unterhosen von der Leine nahmen – ein ulkiger Anblick. Die Kinder drüben hatten ihn noch nie interessiert. Er kannte die Jungen nicht, und er wollte sie auch nicht kennenlernen. Fußball? Man hätte ihn nicht mitspielen lassen, selbst wenn er gewollt hätte. Überhaupt: Sport? An der Helge lag ein Ruderboot, damit fuhr er manchmal auf dem Fluß herum. Die Kühe am anderen Ufer kamen dann gelaufen. Die wollten sehen, was er da macht.
     
    Peter stieg nie in die Siedlung hinunter, und von dort kam auch niemand zu ihm. Die Chaussee lag dazwischen. Es wäre ihm auch schlecht bekommen, wenn er sich dorthin gewagt hätte. In der Siedlung wohnten kräftige Jungen, die nur darauf warteten, das Plutokratenjüngelchen mit Schneebällen zu bewerfen. Oder ihn in den Schwitzkasten zu nehmen und nicht wieder freizulassen? In einem solchen Falle hätte das Tantchen gewiß das Fenster geöffnet und hätte eingegriffen.
    Eine lange Glitsche hatten sich die Kinder dort angelegt, diehätte er gern einmal ausprobiert. Drygalski war mit einem Eimer voll Asche gekommen und hatte sie unbrauchbar gemacht. Das ärgerte Peter, obwohl es ihn doch gar nichts anging.
     
    Wenn Peter mal draußen spielen wollte in diesen Tagen, fuhr er mit seinem Schlitten einen kleinen Abhang hinterm Haus hinunter. Zog ihn hinauf und fuhr wieder hinunter. Einen Schneemann hatte er auch schon gebaut, aber niemand hatte ihn ansehen wollen.
    «Schön, mein Junge, schön ... », hatte die Mutter gesagt, aber sie hatte kaum von ihrem Buch aufgeschaut. Mit dem Führer und Reichskanzler hatte der Schneemann eine gewisse Ähnlichkeit gehabt.
     
    Im Sommer verbrachte Peter oft Stunden in seinem Baumhaus, das er sich zu einer

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