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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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war, wie er sagte, war Jago, der Hund, sein Freund nicht. Wenn man ihm die Schmalzbrote hinstellte, knurrte der Hund. Und bei den abendlichen Küchenbesuchen – vorm Nachhausegehen eben noch mal schnell mit der Aktentasche in der Hand den Mädchen in der Küche gute Nacht sagen – stellte er sich ihm sogar entgegen und fletschte die Zähne!
    Wenn er in der Küche nach dem Rechten sehen wollte, war es schon geschehen, daß ihm die Mädchen die Tür von innen zuhielten. Aber Dr. Wagner war ja nicht von gestern, der verstand ja Spaß.
    Manchmal stellte er Berechnungen an, ob die Kalorien, die er auf Georgenhof zu sich genommen hatte, wohl den Verbrauch wettmachten, den er seinem Körper zumutete, vier Kilometer hin und vier Kilometer zurück bei Wind und Wetter? Und er machte Andeutungen, doch auf die Andeutungen reagierte keiner.
    Es gab einen Richtweg, den hatte er schließlich entdeckt, der kürzte die Strecke ab, den benutzte er gelegentlich, aber das behielt er für sich ...
     
    Treu und brav stellte Dr. Wagner sich ein, Tag für Tag, und immer hatte er den Bogen raus, wie er Peter interessieren konnte für irgendwas. Gern nahm er zum Beispiel Knaurs Lexikon zur Hand und stach mit einem Messer zwischen die Seiten, und dann öffnete er das Buch, das er ein «Schatzkästlein» nannte, und Peter durfte ihm vorlesen, was dort durch puren Zufall zutagegetreten war. «Bibelstechen» nannte er das. Und was es auch war, das man da fand, es war immer interessant. Das Uninteressante ließ man einfach fort. «Brätling, Pilz, s. Lactarius» Der Reichtum der Natur, wie viele Pilze es gibt in der Welt, genießbare und ungenießbare, und daß es sich eigentlich um Schmarotzer handelt, die gleichwohl nützlich sind und zum Teil gut schmecken. Pfifferlinge zum Beispiel, in Butter gebraten, oder Champignons, die als Delikatesse galten und absolut bekömmlich waren, wenn man sie richtig zubereitete.
     
    Mit der Bibel befaßte sich Dr. Wagner nicht. Gegen die Kirche hatte er was, da war ihm in den Zwanzigern mal einer quergekommen. Er hatte in seiner Jugend der freien Gottesbewegung angehört, die gern im Wald zusammentraf und sich dort unter den Kronen der uralten Bäume an den lieben Gott wendete. Damals hatte die Amtskirche darüber dumme Bemerkungen gemacht und sich von ihm zurückgezogen, und da hatte er sich dann auch verabschiedet. Die Kirchensteuer sparte man immerhin.
     
    Ein silberner Bleistift hing an seiner Uhrkette, und er schob ihn recht zierlich aus der Hülse heraus und dann wieder in die silberne Hülse zurück.
    Manchmal ballte er die Hand zur Faust, manchmal legte er sie flach auf den Tisch, und immer tat er das mit Anstand. Einen blauen Siegelring trug er, der an einer Stelle etwas ausgeblichen war, da war wohl mal heißes Wasser draufgekommen. Der Spitzbart, den er trug, gab bei Nachdenklichkeiten Gelegenheit, nach vorn gestriegelt zu werden. «Ich weiß ja nicht, ob du recht hast?» sollte das bedeuten. Er sagte nie direkt: «Ach was! » oder «Das ist ja völlig falsch» oder gar: «Quatsch!» Er stellte gern anheim. Das war seine Methode, ja er ließ sich sogarbelehren von seinem Schüler: Er ließ sich zum Beispiel die Flugzeugmodelle erklären, die unter der Decke hingen, den Unterschied von Bomber und Jäger und daß der Wellington- Bomber eine Heckkanzel hat, aus der es für den Schützen keine Rettung gibt, wenn das Dings mal brennt. – Den roten Dreidecker allerdings kannte Dr. Wagner, den hatte er selbst schon mal gesehen, Richthofen, an der Somme – was Peter gar nicht glauben konnte. Und er machte das dünne MG-Geknatter der Flugzeuge nach und zeigte mit der flachen Hand an, wie Richthofen seine «Kiste» damals manövriert hatte.
     
    Leider trat er wiederholt auf Peters Eisenbahn, einige Schienen waren schon platt, und mit dem Bahnhof hatte er bereits Fußball gespielt. «Oh! mein lieber Junge», hatte er gesagt. «Das tut mir aber leid. Du mußt das hier mal aufnehmen ... », und er hatte sich angeschickt, sich hinzuknien mit knackenden Gelenken, alles wieder richtig hinzustellen. In seiner Kinderzeit hatte auch er eine Eisenbahn besessen, keine Ahnung, wo die hingekommen war. Sie war größer gewesen als Peters Eisenbahn. Menschen aus Pappmaché hatten in den offenen Wagen gesessen, und die Lokomotive hatte einen langen Schornstein gehabt.
     
    Auf dem runden Tisch in Peters Zimmer lag noch von Weihnachten her die handbestickte Decke mit den schwingenden Glocken in Rot und Tannenzweigen in

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