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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Grün. Und hier an diesem Tisch wurde das Studium generale betrieben: Schulbücher lagen ausgebreitet, «Was blüht auf Tisch und Fensterbrett?», mit schematischen Pflanzendarstellungen und ein Atlas. Wo Bauxit gefördert wird, war auf einer Spezialkarte abzulesen, und der Panamakanal, wie viele Schleusen der hat. Das Leben: «Wo man’s packt, da ist es interessant ... »
     
    Der Ort Mitkau ließ sich auf den Karten nur schwer ausmachen, aber Königsberg groß und deutlich. In Königsberg hatte schließlich Kant gelebt, das muß man sich mal merken. Auch Kant war Junggeselle gewesen, das ist ja nichts Besonderes.
     
    Wenn es sich gerade mal so ergab, ließ Wagner den Jungen auch mal rechnen: «Ein Radfahrer fährt von A nach B ... », an sich ganz einfach: Regeldetri: Was man über den Strich schreiben muß und was unten drunter gehört, und dann kürzt man das und multipliziert, das ist alles ganz einfach, und doch kapierte Peter es nicht, wie akzentuiert Dr. Wagner auch sprach und wie sanft er auch die geballte Faust auf den Tisch senkte: nein, er kapierte es nicht.
     
    Englisch: I have washed, you have washed, he has washed. Daß die Engländer, dieses so kultivierte Volk, eine Stadt wie Königsberg dem Erdboden gleichgemacht hatten? Der Dom! Das Blutgericht! Das verstehe, wer will. Sein liebes Königsberg! Am Pregel in einem kleinen Restaurant gebratene Flundern gegessen ... Und dann das Tuten der großen Schiffe vom Hafen her ...
    Weshalb war er nicht in der Welt herumgereist, vor dem Krieg, als das noch möglich war? das fragte sich Dr. Wagner. Von Peter nahm er an, daß der sich eines Tages den Wind ganz anders um die Nase wehen lassen würde.
    Das Tuten der Schiffe und die gebratenen Flundern, das ging Dr. Wagner nicht aus dem Sinn. Und goldgelbe krosse Bratkartoffeln? An sich doch ein so einfaches Gericht?
    Dr. Wagner erklärte dem Jungen natürlich auch, was «Nationalökonomie» bedeutet. Und daß Briefmarkensammeln eine gute Sache ist, wie kleine Aktien seien diese Dingerchen. Sammeln ja, aber flicken ? Einen einzelnen Zahn wieder anflicken,daß so etwas möglich ist, das hielt er für ausgeschlossen. Das sei ja direkt Betrug? Nein, da sei die Phantasie wohl mit ihm durchgegangen? Was? Man müsse immer bei der Wahrheit bleiben. Immer bei der Wahrheit bleiben und schweigen können auch im Hinblick auf gewisse Gerüchte, die jetzt die Leute einander zuraunten. Menschen mit Einblick hatten sie in die Welt gesetzt, im Osten irgendwas gesehen. Dinge, die so abwegig waren, daß man sie sich gar nicht vorstellen konnte?
    Auf jede Marke einen schwarzen Punkt malen? Ob das wirklich eine so gute Idee war? Lieber nicht! Wenn das jemand zu sehen kriegt? So was wäre schwierig zu rechtfertigen ... Briefmarken sammeln und Münzen sammeln. Warum nicht? Wertbeständige Objekte! Wenn die Papiermark längst ihren Geist aufgegeben hat, sind immer noch die Briefmarken da, es sei denn, sie verbrennen ...
    Die Inflation – Millionen und Milliarden? Schwierig zu verstehen und kompliziert zu erklären.
     
    Im Atlas wurde «Budapest» aufgesucht, weil davon die Rede in den Nachrichten war. Wie weit die Russen bereits vorgedrungen sind – Frontbegradigungen im Zuge von Absetzbewegungen – und wo die Amerikaner eigentlich stehen. Eine Karte mit Markiernadeln bestecken? Die entsprechende Karte hing schon lange an der Wand, allerdings verkehrtrum markiert: wie weit die Deutschen vorgedrungen waren in den Osten, mit Stoßkeilen und Kesseln, aber wo sie jetzt standen, das war daraus nicht zu ersehen. Wo die Russen standen, ihrerseits, war bekannt. Kaum 100 Kilometer entfernt ...
    Budapest lag in Ungarn und es hatte zu Österreich gehört, irgendwann einmal. Die k.-und-k.-Monarchie. Lange her. An sich liebenswert.
    «Der Kaiserwalzer», diesen Film hatte man gesehen.
    Auch Katharina setzte sich ab und zu mit an den Tisch, wie still und zurückgezogen sie sich auch sonst hielt. Brachte ihren Tee mit und setzte sich neben den spitzbärtigen Pädagogen. Hier konnte auch sie noch etwas lernen. Manchmal zog sie sich sogar ein Nachmittagskleid an, wie in alten Tagen. Und wenn dann gar die Sonne ins Zimmer schien, daß die Eisblumen am Fenster glitzerten, stellte sich auch der Kater ein und legte sich auf Peters Bett, die Pfoten unter sich genommen.
     
    Gelegentlich verselbständigte sich das Gespräch der beiden Erwachsenen, es glitt dahin, dahin, und Peter hockte sich dann zu seiner Eisenbahn auf den Fußboden und zog die

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