Alles Umsonst
Geburtstag. Im holden Monat Mai.
Neben Peters Zimmer lag noch eine Kammer. Dort hatte Elfie gewohnt, die kleine Schwester, nun schon zwei Jahre tot.
Man hatte darin alles so belassen wie zu ihren Lebzeiten, die Puppenstube, das Kaspertheater. Ja, sogar die Strickhexe, aus deren Bauch eine meterlange Schnur herausbaumelte. – Im Schrank hingen noch immer ihre Sachen, und das Bett war bis vor kurzem immer mal wieder frisch bezogen worden: Auf dem Kopfkissen lag ein Foto von ihr. Krause Zöpfchen hatte sie gehabt, aber nicht blond, sondern rabenschwarz.
Als sie starb, war der Kater weggelaufen, erst drei Tage später hatte er sich wieder eingestellt.
Wie schade, dachte Peter manchmal, wenn er in seinem Bette lag: Ich hätte jetzt an die Wand klopfen können, und dann hätte sie zurückgeklopft.
Katharina
S eit Eberhard eingezogen worden war, lebte Katharina im «Refugium», wie die beiden ihre kleine Wohnung nannten. Die Tante hatte zunächst damit begonnen, zum Nachmittagskaffee bei ihr da oben einzuschauen und mit Plaudereien anzufangen, von Schlesien zu erzählen, wie es gewesen war, als man sie vom Hof jagte – sie hatte sich jeden Tag eingestellt, um das Leid der Welt zu bekakeln, jeden Tag von drei bis vier? Als dies zur Gewohnheit zu werden drohte, hielt Katharina die Tür verschlossen. «Ich brauche Zeit für mich», sagte sie. Nicht bloß ein paar Stunden, sondern Tage, Wochen, immer brauchte sie Zeit für sich. Jeder führt sein eignes Leben, und sie war ja auch keine Landfrau, das hatte sie von Anfang an gesagt, wäre gern Buchhändlerin geworden, nie hatte sie was von Kalk und Stickstoff gehört. Und Kühe melken?, um Gottes willen!
Sie lebte hier in dieser kleinen gemütlichen Wohnung, und das Tantchen hatte ihr schönes Zimmer – immer Sonne?
Im übrigen nahm man ja die Mahlzeiten gemeinsam ein, in der Halle unten, da konnte man sich rasch über alles verständigen. Das ging ja ohne weiteres.
Die kleine Wohnung bestand aus einem Wohnzimmer, dem Schlafzimmer und einem Kabinett, mit Bücherregalen an den Wänden, deren Konsolen golden bronziert waren. Hier standen Romane, einer neben dem andern, die alle gelesen waren, denn Katharina war eine sogenannte Leseratte seit Kindheitstagen. Buchhändlerin hatte sie werden wollen, nicht Gutsherrin, dashatte sie immer gesagt. Und in einer Buchhandlung hatte Eberhard sie dann ja auch wiedergesehen, in Berlin, wo sie mit ihm an einem Vormittag um 10 Uhr in ein und dasselbe Buch hineinschaute, und das war dann «das Buch des Lebens» gewesen, wie es in der Hochzeitszeitung zu lesen stand.
Aus Mitkau bezog sie regelmäßig Nachschub, das war der Luxus, den sie sich leistete. Der Buchhändler dort hatte auch jetzt noch immer was unter dem Tisch für sie. Konrad Muschler, Eckart von Naso und Ina Seidel. Aber auch die «Blauen Bücher» – Bildbände, die sie immer wieder gern durchblätterte: «Deutsche Lande» ...
Im Kabinett stand ihr kleiner Schreibtisch, an dem sie Briefe an ihre Leute in Berlin schrieb, daß es ihr gut geht, aber was soll bloß werden? oder an ihren Mann im fernen Italien. Sie waren vor dem Krieg mit dem nagelneuen Wanderer-Wagen nach Italien gereist, das war etwas Besonderes gewesen, und nun saß Eberhard schon Monate dort ...
Fotos ihrer Eltern standen auf dem Tisch und ein Ölbild der kleinen Elfriede, kurz bevor sie vom Scharlach dahingerafft wurde, war es gemalt worden, 1943, als man an nichts Böses mehr dachte. Fast acht Jahre wäre sie jetzt alt, das rechnete Katharina immer wieder nach.
Ein Kandelaber stand neben dem Schreibtisch, der war mit fünf Kerzen bestückt, die wurden nie angezündet. Es würde sich schon noch ein Anlaß finden. Nach dem Krieg, wenn wieder alles im Lot ist.
Dem Refugium angeschlossen war ein Wintergarten, der der Wohnung Licht gab. Von dort aus blickte man über das Flachdachdes Sommersaals und die Terrasse in den Park, auf den von Rhododendren umgebenen Rasen und auf Tantchens weißgrünen Pavillon, den man 1936 hatte errichten lassen, damals, als alles besser zu werden versprach. Der Dorfzimmermann hatte ihn in drei Tagen zusammengenagelt, zu Tantchens Geburtstag, eine große Überraschung war das gewesen! Und nur ein einziges Mal war er benutzt worden.
Katharina saß gern im Wintergarten und sah auf den schwarzen Wald hinunter, der wie eine Wand hinter der Parkwiese stand. Hier saß sie oft mit ihrer Freundin Felicitas, die immer so hübsch lachte und allezeit plappernd
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