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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Lokomotive auf. In der Kurve sprangen die Wagen manchmal aus den Schienen.
    «Nicht zu doll, mein Junge, nicht zu doll ... »
    Daß Menschen mit Einblick im Osten Dinge gesehen hatten, die da vor sich gingen? Unser gutes deutsches Vaterland? Um Gottes willen?
     
    Katharina zündete sich eine Zigarette an und suchte auf der Karte nach dem Gardasee, und sie versuchte sich vorzustellen, wie es dort wohl jetzt aussieht, und sie dachte an Venedig, wie sie mit Eberhard in einem kalten Hotel gesessen hatte, und es regnete den ganzen Tag. Auf einer Gondelfahrt hatte sie sich dann den Unterleib erkältet, und mit einer Nierengeschichte war sie nach Hause gekommen, das war das Ende vom Lied gewesen.
     
    Die Plünderung Roms durch die Vandalen. Die Italiener im Waldschlößchen, ob das vielleicht Sizilianer waren?
    Katholisch waren sie jedenfalls. Einmal war ein Priester bei ihnen gewesen: Einer der Italiener war krank geworden undgestorben, im kalten Deutschen Reich, in dem es womöglich noch Wölfe und Auerochsen gab, unnahbar unsern Schritten ... im unwirtlichen Germanien. Dem hätte man auch was anderes gewünscht.
     
    Mit Katharina sprach Dr. Wagner über den Jungen hinweg immer wieder von Zuständen, was das für Zustände sind, denen man jetzt ausgesetzt ist. Er dämpfte die Stimme: Die Ziegelei in Mitkau, die Menschen, die dort arbeiten müssen, Häftlinge in gestreiften Jacken? Was wohl noch alles kommt? «Wer hätte das gedacht?» Daß er seine Hand gelegentlich auf den Unterarm der stillen Frau legte, war nicht weiter sonderbar. Wo man sich schon so lange kannte? Aber das mußte ja nicht sein.
    «Werden auch Sie aufbrechen nach Westen?» fragte er traurig. Und dann machte er Andeutungen und formulierte vorsichtig die Frage, ob man ihn nicht vielleicht mitnehmen könnte auf die große Reise? Auf den Wagen sei doch gewiß noch Platz?
    Er hätte ja per Bahn ins Reich fahren können, aber wann genau sollte er das tun? Wann war der richtige Zeitpunkt gekommen? Und: wohin genau? Und wie begründen eine solche Reise?
     
    Auch das Tantchen hatte sich schon an den Erziehungsstunden beteiligen wollen. Mit einer Bildermappe «Illustrationen zur biblischen Geschichte» war sie erschienen und hatte vom Heiland geredet. Aber das war nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Daß die alte deutsche Kaiserkrone mit einem Kreuz versehen war über dem Bügel – damit schaltete sich Dr. Wagner ein – christliches Abendland! –, und dann redete er mit dem Tantchen über den Hauptpastor Brahms in Mitkau, wie unvorsichtig der sei. Anstatt den Mund zu halten, erwähnte der, wie man hörte, in seinen Predigten die dollsten Sachen. Gott läßtseiner nicht spotten! so in diesem Stil. Und dann fiel das Wort «KZ», und die Stimme wurde gedämpft.
     
    Hübsch war Dr. Wagners Einfall, Rätsel zu fabrizieren.
    «Ans Vaterland, ans teure, schließ dich an ... » als Silbenrätsel? oder: «Aus öden Fensterhöhlen starrt das Grauen»? Schiller überhaupt: der eignete sich vorzüglich dazu.
    Magische Zahlenquadrate – von links nach rechts, von oben nach unten, und beim Addieren ergibt es immer dieselbe Zahl? Sonderbar und nicht zu begreifen. Sollte man damit irgendetwas beschwören können? Unglück bannen? Dürer, der hatte sich auch mit so was befaßt. Albrecht Dürer aus Nürnberg, dieser herrlichen Stadt, die nun auch in Trümmern lag, wie Königsberg und Hamburg, Frankfurt und Köln.
     
    Rätsel: alles schön und gut. Aber warum sollte man jemandem ein Rätsel aufgeben, wenn man schon weiß, was rauskommt? das sah Peter nicht ein.
    Wenn es hart auf hart kommt, könne man mit der Rätselfabriziererei auch Geld verdienen, sagte Dr. Wagner. Vielleicht fünf Mark pro Stück?
    Als Peter dann sagte, man könne sie ja einfach aus den «Fliegenden Blättern» abschreiben und verkaufen?, war das auch wieder nicht so ganz das Richtige. Da gab es eine längere Zurechtweisung, in der dann auch von den zehn Geboten die Rede war, und auf Lügereien wurde verwiesen. Und daß man sich auch immer schön waschen muß, ein deutscher Junge muß sich auch mal die Finger waschen, nicht wahr?
    «Und immer vorsichtig sein, mein Junge, das gehört auch zum Leben.»
    Ob das gut sei, die Hitlermarken mit einem schwarzen Punkt zu versehen?, das sei eben sehr die Frage.
    «Brigg, ein Schiff mit zwei vollgetakelten Masten ... »
     
    In Königsberg habe er so manches schöne Segelschiff gesehen. Wieso ist man damals, als es noch ging, nicht einfach weggefahren? Die

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