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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Panzerfaust bestimmt. Das Erdreich war steinhart gefroren. Hier Löcher zu buddeln stieß auf Schwierigkeiten.
     
    Die Freundinnen begrüßten einander laut und lebhaft, und auch der Kanarienvogel trällerte aus voller Kraft. Der Hase wurde in einen Kissenbezug gesteckt und ins Küchenfenster gehängt.
    «Hauptsache, es gibt auch Gas! » wurde gesagt, sonst würde man ihn gar nicht braten können. Vielleicht in Essig einlegen? Aber Essig hatte man auch nicht.
    Felicitas hatte gerade auf der Couch gelegen und Radio gehört.
     
    Ein Señor und eine schöne Señorita
    geh’n spazieren am Meeresstrand ...
     
    Ein Glasschälchen mit Haferflocken-Krokant stand auf dem Tisch. Und in einem rosa Gläschen bekam Katharina einen grünen Likör angeboten.
    Felicitas mit ihrem strahlenden Aquamarin um den Hals, und Katharina mit dem goldenen Medaillon.
     
    Vom Fenster aus konnten sie sehen, wie die Gefangenen sich mit den Baumstämmen abmühten, ein alter Wachtmeister stand daneben mit langem Beutegewehr, die Hände in den Taschen. Um den Kopf hatte er einen Schal gebunden.
    Es waren zweierlei Kategorien von Gefangenen, die sich da mühten: Franzosen in dicken Mänteln und Gefangene in gestreiftem Zeug, extra bewacht von einem SS-Mann, der sich in einen Hauseingang zurückgezogen hatte.
     
    Das Senthagener Tor sah mit den Schneekappen auf den Zinnen ganz gemütlich aus. An die Franzosenzeit war zu denken, als die Davongekommenen der Großen Armee Anno 1812 hungernd und frierend um Einlaß in die Stadt baten. Von den Bürgern waren sie mit warmer Suppe empfangen worden: Württemberger waren es gewesen und Bayern, die die warme Suppe gekriegt hatten, nicht Franzosen, die Franzosen wurden abgewiesen, die sollten machen, daß sie wegkommen. Einem geschlagenen Feind hätte man ja eigentlich hochherzig gegenübertreten müssen. Aber die Franzosen hatten, solange sie noch obenauf waren, Kriegskontributionen erhoben, die Kirche als Pferdestall benutzt und in Georgenhof das alte Schloß niedergebrannt! Das hatte man nicht vergessen können.
     
    «Was meinst du», sagte Felicitas, «ob die Russen es tatsächlich bis hierher schaffen?», und sie tastete ihren Leib ab und seufzte.
    Ihr erschien es ganz unglaublich, daß die Russen an einer so kleinen, unbedeutenden Stadt wie Mitkau Interesse haben könnten. Hier sagten sich doch Fuchs und Has’ gut’ Nacht! Und wieso ein solches Nest verteidigt werden sollte, das war nicht einzusehen, was gab es denn hier zu verteidigen? Die beiden Frauen wußten nichts von den Munitionsdepots an der Helge. Die wußten auch nicht, daß im Waldschlößchen Ersatzteile der NSKK-Abteilung Nord lagerten.
     
    Von Franz, dem Mann ihrer Freundin, hing ein Foto über dem Radio, ein «fescher» Leutnant, die Mütze mit der silbernen Offizierskordel fesch auf dem Leutnantskopf. Das Radio war ein französisches Gerät, das hatte er aus Frankreich mitgebracht, damals, im heißen Sommer 1940. Es war elegant geschwungen,stromlinienartig, so elegant wie kein deutscher «Rundfunkempfänger».
     
    Einmal wirst du wieder bei mir sein,
    einmal wirst du wieder treu mir sein ...
     
    Der Slowfox, der gerade gespielt wurde, veranlaßte die beiden Frauen wieder und wieder zu seufzen. Felicitas schüttete eine Schaufel Koks in den Ofen und lockerte die Glut. Vielleicht würde Franz ja eines Tages vor der Tür stehen? Wer konnte das wissen? Der lag in Graudenz, diesem elenden Nest. Hatte es dort in der Festung mit deutschen Drückebergern zu tun und mit Deserteuren. «Die werden natürlich alle erschossen», hatte er erzählt. Felicitas hätte ihn besuchen können, aber in diesem elenden Nest, wo es noch nicht einmal ein Kino gab?
    Eberhard in Italien ... da konnte nichts passieren. «Du hast es gut! » sagte Felicitas, und Katharina atmete tief auf. Ja, sie hatte es wahrhaftig gut.
     
    Nun klingelte es, und ein nettes BDM-Mädchen trat ein, Heil Hitler, knickste und fragte, ob sie was helfen kann? Blau gefrorene Hände hatte sie. «Oh, hier ist es aber schön warm ... » Das Mädchen gehörte zum «Hilfsdienst für werdende Mütter», der von der Partei eingerichtet worden war. Die Jungen waren zum Schneeschippen eingeteilt: die Hauptstraße immer schön schneefrei halten, und die Mädels sollten werdenden Müttern unter die Arme greifen.
    Ja, sie konnte helfen, einen Eimer Koks heraufholen, und hier sind die Lebensmittelkarten: Brot, Butter und Wurst einkaufen, aber aufpassen, daß nicht zu viel abgeschnitten wird, und

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