Alles Umsonst
das Wechselgeld immer schön nachzählen!
Katharina sagte, sie sei gerade beim Bürgermeister gewesen, aber als sie Näheres davon erzählen wollte, legte die Freundin den Finger auf die Lippen: psst! Im Nebenzimmer, hinter der Schiebetür, hatte sie eine Flüchtlingsfamilie aus Litauen sitzen, eine Frau und drei Kinder, die pflegten an der Tür zu horchen! Kleine Leute, die sich neuerdings auch in der Küche breitmachten und Felicitas’ schönes Geschirr benutzten und ziemlich rüde wieder wegstellten.
«Und das Klo sieht aus! »
Daß die sich hier breitmachten, das Geschirr anstießen und das Klo nicht in Ordnung hielten, hatte mit «Volksgemeinschaft» zu tun. Das mußte man aushalten, das war klar, aber doch nicht so! Felicitas vermutete, daß diese Leute wohl noch nie ein normales Klo gesehen hatten. Im Osten? da gingen sie doch normalerweise aufs Häuschen?
In diesem Augenblick heulten die Sirenen. Felicitas umfaßte ihren Leib und sagte: «Oh! Das geht einem durch und durch ... » Ob das wohl gut sei für das Kindchen?
Die beiden standen sofort auf, Radio aus, Kanarienvogel zudecken und Fenster auf Spalt stellen. «Daß man sich nicht mal ein paar Minuten in Ruhe unterhalten kann ... »
Im Luftschutzkeller roch es nach Kartoffeln. Es war ein gewölbter Keller, das Haus hatte in früheren Jahrhunderten zum Senthagener Tor gehört, hier waren in der Vergangenheit Arrestanten untergebracht worden, Herumtreiber oder Leute, die keinen Paß vorweisen konnten, zwielichtige Gestalten, die man abschieben mußte, damit sie sich woanders rumtreiben konnten.
Im Keller hatte sich schon die Hausgemeinschaft zusammengefunden, die dicke Flüchtlingsfrau mit ihren schreienden Kindern,ein wenig an Heinrich Zille erinnernd, ein kranker junger Mann und eine alte kummervolle Frau.
Auch die Gefangenen drängten in den Keller, für die war das eine gute Gelegenheit, mal Pause zu machen. Der Wachtmann brummte ein bißchen herum, eigentlich geht das nicht, aber der wollte auch nicht so furchtbar gern draußen stehen, also setzten sie sich und tauten ein bißchen auf.
Die Gestreiften mußten draußen bleiben.
Die Franzosen guckten die beiden Frauen an, so elegant? so städtisch? Und die Frauen tasteten nach ihrem französischen Wortschatz. Die wußten zwar, was «Guten Tag» auf französisch heißt und «Ich liebe dich», aber sonst nichts.
Die Flüchtlingskinder betrachteten die Gefangenen eindringlich, und bald schon drängten sie sich an sie. Die Messingknöpfe an der Uniform ... Und die Männer nahmen sie auf den Schoß, was eigentlich nicht ging.
Ob diese Franzosen eine Ahnung davon hatten, daß Napoleon Kontributionen erpreßt hatte und die Marienkirche als Pferdestall benutzt?
Der junge kranke Mann, der in der Ecke saß, hätte wohl auch gern den Kindern übers Haar gestrichen, und er hätte durchaus mit den Franzosen sprechen können. Aber sollte er ihnen sagen, daß auch mal wieder bessere Zeiten kommen, immer schön den Kopf hoch halten? Das wußten die doch selber.
Dem Wachtmeister troff die Nase, der horchte in sich hinein.
Nach der Entwarnung gab es draußen einen Tumult. Der junge Mann war hinausgegangen zu den Gestreiften und hatte ihnen Brot gegeben. Das konnte nicht geduldet werden! Ob er weiß, daß das alles Schwerverbrecher sind? wurde er gefragt. – Wenndie Franzosen nicht dabeigestanden hätten, wäre es vielleicht schlimm ausgegangen.
Bevor Katharina nach Hause fuhr, mußte sie noch den dritten Hasen abliefern, den sollte der Pastor bekommen. Das hatte Eberhard noch geschrieben: «Vergiß den Pastor nicht, wer weiß, wofür wir den noch mal brauchen ... »
Der Pastor, der Brahms hieß, war ein doktrinärer Mensch, der gelegentlich, wenn es um Extrawürste ging, ganz unerwartet sehr altmodische Prinzipien herauskehrte. Als Elfriede damals starb, im Scharlach-Winter, hatte er was gegen ein Extragrab im Wald gehabt. Und es war schwierig gewesen, ihn umzustimmen. Ein einsames Kreuz? ein blumenüberwachsener Grabhügel mitten im Wald?
«Das gerät dann schnell in Vergessenheit ... », hatte er gesagt. Und: «Im Tode sind wir alle gleich» und all solche Sachen. Lothar Sarkander hatte sich eingeschaltet, der hatte das dann möglich gemacht.
Als die deutschen Soldaten 1939 nach Polen zogen, war angeregt worden, Brahms möge ihnen doch irgendeinen Segen spenden, in einer kleinen Feierstunde? wenigstens denen, die danach verlangten? Der Organist hatte schon Noten
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