Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
herausgesucht.
    Nein, das war nicht seine Sache gewesen, das hatte er abgelehnt. Eine solche kirchenamtliche Handlung war in der Landeskirche nicht vorgesehen, und für Extratouren hatte er keinen Sinn. Da hätte man sich ja eine spezielle Liturgie zusammenzimmern müssen?
    Es war ziemlich waghalsig gewesen, so etwas zu sagen, sogar die Partei hatte nachgefragt! Aber man hatte ihm das nicht wirklich übelgenommen. Kirche war Kirche, und Pastor Brahmsrangierte unter «Querkopf», und das war doch auch irgendwie sehr deutsch? «Hier stehe ich und kann nicht anders ... ?» Sarkander hatte darauf hingewiesen, daß auch Martin Luther ein Querkopf gewesen sei.
     
    Katharina klingelte am Pastorat und reichte dem Pastor den Hasen, mit einer Art Knicks. Brahms sagte: «Sieht man Sie auch einmal?», drückte an dem toten Tier mit dem Daumen herum und sagte kaum «Danke!» Er habe so furchtbar viel zu tun, deshalb könne er sie nicht hereinbitten. In dieser Woche wieder sieben Gefallene? Bei den Frauen sitzen, und es gibt keinen Trost? «Gestern erst ... Aber es hat ja keinen Zweck.» – Und die zusätzliche Belastung durch die Alten im Kloster? Wie lange soll das denn noch gehen? Diese unhaltbaren Zustände?
    Katharina ging hinüber in die Kirche.
    In der Kirche war es – das kann man wohl sagen – eiskalt, und Katharina hielt sich nicht lange darin auf. Von dem Stammplatz der Globigs aus, der meistens leer blieb, hatte sie ein Bildnis von Jonas vor Augen, es hatte die protestantische Bilderstürmerei wie durch ein Wunder überlebt. Jonas mit dem Walfisch, eine alte, zum Teil vergoldete Schnitzerei aus dem 15. Jahrhundert, die sah sie immer so gern an, das fröhliche Gesicht von Jonas, wie er dem Walfisch zum Abschied noch ein letztes Mal zuwinkt ... Achtzehn Seitenaltäre waren bei der protestantischen Bilderstürmerei abhanden gekommen, zerhackt, verbrannt, und der Hauptaltar war dann von den Franzosen ohne weiteres verheizt worden. Allein der fröhliche Jonas mit seinem Walfisch hatte die Zeiten überstanden. Dem hatten nicht einmal die Franzosen was getan.
    Katharina warf dem Missionsmohr ein Markstück in den Hut,der nickte dafür mit dem Kopf. Mit alten Briefmarken wäre dem nicht gedient gewesen.
     
    Unter dem Portal stieß sie dann noch einmal auf den Pastor. Der schob sie zurück in die kalte Dunkelheit. Was er noch sagen wollte ..., und er zog sie noch weiter ins Dunkle hinein, er hätte noch was auf dem Herzen ... und näherte sich ihr nachdrücklich, und dann machte er Andeutungen und rückte schließlich damit heraus, daß es einen Mann für eine Nacht zu verbergen gälte, einen Flüchtling ... Eine einzige Nacht? ob sich das machen ließe? Das sei allerdings was Politisches, deshalb auch zu niemandem ein Wort. Sie könne sich das in Ruhe überlegen und ihm dann Bescheid sagen ...
     
    Einmal wirst du wieder bei mir sein,
    einmal wirst du wieder treu mir sein …
     
    Katharina dachte auf dem Heimweg an die «Kauernde» und an Felicitas und an die Schummerstunden in ihrem gemütlichen Refugium. Ein fremder Mann? Für eine Nacht? Womöglich eine dieser gestreiften Existenzen?
    Dem konnte sie nicht so ohne weiteres zustimmen. Da würde sie doch wohl erst einmal Eberhard fragen müssen? Aber – Italien? würde das nicht Ewigkeiten dauern? Sechs Wochen dauerte ein Brief? Und beim Telefonieren hörten alle möglichen Leute mit? «Zu niemandem ein Wort ... »,hatte Pastor Brahms gesagt. Und in welchen Andeutungen wäre ihm das zu unterbreiten? Ein fremder Mann?
    Andererseits, mußte einem solchen Menschen nicht geholfen werden? War das nicht Christenpflicht?
     
    In der Horst-Wessel-Straße wartete bereits Dr. Wagner, den nahm sie mit hinaus, der hatte diesmal gar zwei Taschen dabei. Der Wallach guckte sehr nach hinten, als er in die Kutsche stieg.
    Heute würde er dem Jungen mal mit ganz was anderem kommen. Postkarten, auf denen griechische Jünglinge dargestellt waren, hatte er eingesteckt: speerwerfende und Bogenschützen. Es sei nichts süßer als «pro patria mori ... », mit diesem Satz würden sie sich befassen müssen.

Der Maler
    P eter saß in seinem Zimmer am Fenster und beobachtete die Siedlung mit dem Fernglas. Ein Haus neben dem andern, schnurgerade ausgerichtet ... Eine alte Frau mit einer Tasche kam um die Ecke: Sie rutscht aus, und niemand bemerkt es. Autos fahren auf der Chaussee vorüber, Frauen schütteln die Betten aus. Liegt da und versucht hochzukommen, wie ein gestürztes Pferd. Peter sah

Weitere Kostenlose Bücher