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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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eigene Leben befreien wie Abraham den Widder aus der Dornenhecke?
     
    Dann kam man auf das «Procedere», wie er sagte. Wie sollte der Mann und wo verborgen werden?
    Obwohl Katharina nur eben «ja» gesagt hatte, sich selbst lauschend, ohne daß sie sich klar darüber war, was das bedeutete, stellte es sich heraus, daß sie schon ziemlich genau wußte, wie das anzustellen sei, einen Mann in den Gutshof zu schleusen und ihn dort zu verbergen, trotz des Tantchens, des Jungen und des Hundes Jago. Auch der Pole und die beiden Ukrainerinnen durften nichts merken, und der Herr Drygalski natürlich auf gar keinen Fall, dieser Schnüffler, der doch fast täglich ums Haus herumtrampelte und zu den Fenstern hinaufsah, ob sie auch verdunkelt sind.
    Sie beschrieb dem Pastor, wie der Fremde auf dem Trampelpfad in den Park gelangen könnte und die Staketen hinaufklettern.
    Mehrmals brachte Brahms durcheinander, was sie ihm darlegte: ums Haus herum? durch den Park? die Staketen hinauf? ... Die Frage war, ob der arme Mensch die Staketen überhaupt würdehinaufklettern können, ob er kräftig genug sei? Und: «Trampelpfad?» fragte der Pastor, wie? wo? Das war doch alles sehr vage.
    Katharina nahm den Rotstift zur Hand, mit dem der Pastor Anstreichungen in seiner Bibel vorgenommen hatte, und ein Stück Papier und fertigte eine Skizze an, und Brahms legte sie auf den Schreibtisch. Und dann dankte er ihr mit beiden Händen. Nun denn, so lassen wir den Dingen also ihren Lauf.
     
    Als sie auf die Kutsche geklettert war, stand der Pastor noch einen Augenblick auf der Straße. Ob er sich einen Ruck geben und im letzten Augenblick sagen würde: «Ach wissen Sie, ich glaube, wir lassen das, wir werden eine andere Lösung finden!» Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um?
    Nein, das sagte er nicht.
    Der Wallach guckte hinter sich und zog den Zügel zurecht, wie lange soll er denn noch warten? Auch das Tier sehnte sich auf seine Weise auf den warmen Georgenhof zurück, denn ihm war kalt.
     
    Und während der Pastor sich wieder seiner Kopiermaschine zuwandte, fuhr Katharina davon, klipp, klapp!, die dunkle Frau mit ihrer weißen Persianermütze. Sie fuhr hinter der Stadtmauer entlang und machte einen Bogen durch die dunkle Stadt. Zu Felicitas hinaufspringen, sich mit ihr beraten? Das Herz ausschütten? Was sie wohl dazu sagte? Eigentlich toll, was sie da vorhat? Felicitas hatte doch immer für alles Verständnis gehabt. Sie würde sie vielleicht bewundern für ihren Mut? Aber jetzt, in ihrem Zustand, doch auch andere Sorgen. Und der Mann in Graudenz mit all den Deserteuren, die da täglich erschossen wurden?
     
    Oder Dr. Wagner? Mit dem alles in Ruhe durchgehen? Eigentlich ein ganz vernünftiger Mann? Immerfort Wurstbrote gegeben, ob sie sich mit ihm besprechen könnte? – Der Studienrat saß zu dieser Zeit in seiner Stube. Die Wurstbrühe hatte er sich aufgewärmt, ein Quarkbrot dazu gegessen. Der las im Livius. Vielleicht sollte man eine neue Übersetzung wagen?
     
    Katharina fuhr über den Markt, an dem Gasthof «Zur Schmiede» vorüber. Das Kino war gerade aus, Menschen strömten heraus, lachten und hakten sich unter. «Der weiße Traum ... »
     
    Wer will noch mal Ringelspiel!
    Einen Taler, kost’ nicht viel!
    Und der erste Preis
    ist a Pupperl ganz in Weiß!
     
    Das Gefängnis. Das Rathaus. Lothar Sarkander, vielleicht säße der ja noch im Büro?
    Nochmals fuhr sie an der Kirche vorüber. Das vertrocknete Blumenkränzchen schaukelte hin und her. Noch konnte man zurück? – Ja, noch hätte man alles rückgängig machen können. Noch war Zeit.
    Hineinstürmen zu Brahms, weinen, und: «Ich kann es nicht!» rufen? – Der Mann hatte doch sicher für alles Verständnis? Vielleicht würde er selbst erleichtert sein?
    Der Pastor hielt inne und lauschte: Kam denn die Frau zurück? Nein, denn es war bereits zu spät.
     
    Am Senthagener Tor wurde sie wiederum angehalten. Sie mußte noch einmal ihre Kennkarte vorzeigen. «Ach so, die Frau von Globig – in dieser Kälte unterwegs?»
    Ob hinten im Wagen einer säße, wollten sie nicht wissen.
    Die Kirchturmuhr schlug sechs. Der Pastor drehte an seiner Kurbel: Bald würde der Fremdling an seine Tür klopfen.Da hieß es nun also warten. Er würde ihn in der Nacht weiterleiten, das war abgemacht, erst abfüttern, beruhigen und dann weiterschicken. Da lag die Skizze vom Georgenhof auf dem Tisch. Es konnte also nichts passieren.
    Übermorgen abend, in aller Dunkelheit, würde man den Mann

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