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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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wieder in Empfang nehmen und dann weiterschicken.
    Was waren denn vierundzwanzig Stunden?
    Und dann in Zukunft die Finger lassen von diesen Dingen?
     
    Georgenhof lag düster und drohend unter den Eichen. Katharina stieg aus und legte dem Wallach den Arm um den Hals. «O Gott ... », sagte sie laut.
    Das Tier drehte die Ohren nach hinten: Es war alles in Ordnung.

Der Fremde
    A m Abend saß Katharina in der Halle mit Peter und dem Tantchen zusammen. Ums Haus herum wehte der Wind Schnee in großen Flocken, und er fauchte in den Kamin hinein.
    Dann ließ der Wind auf einmal nach, und es war still. Die Mädchen waren nicht zu hören. Sie waren mit kleinen Schlachtefest-Gaben ins Waldschlößchen hinübergegangen, Kutteln, Gedärm, Nieren ... Die Jungens dort sollten auf ihre Weise an dem Überfluß des Hauses teilhaben. Ihnen sollte nichts abgehen! Wahrscheinlich schmurgelten sie jetzt schon dort, und der Rumäne spielte auf seinem Schifferklavier lustige Weisen.
     
    Katharina nahm ein Tuch und ging von Bild zu Bild und wischte die Rahmen ab, dann setzte sie sich seufzend zu den andern. Sie guckte auf die Uhr, wieviel Stunden mochten ihr noch bleiben? Was hatte sie mit diesem Mann zu schaffen, der in das Haus einbrechen würde? Und warum? Wahrscheinlich doch selber schuld an seiner Misere?
     
    Das versteht sie, sagte das Tantchen, daß ihr so hängerig zumute ist. Der liebe Eberhard so weit weg ... Und das Durcheinander in den letzten Tagen, die vielen Menschen! Das ginge hier ja zu wie in einem Taubenschlag. Es werde Zeit, daß endlich Ruhe einkehrt!
    Ihr wär’ jetzt nach einem kräftigen Schnaps zumute, sagte sie dann. Und als sie das sagte, «Schnaps», da wurde gelacht. Jaja, das Tantchen und – Schnaps! – Nach dem Betrieb der letztenTage: der verrückte Briefmarkensammler? die Geigerin? und gestern der Maler? Endlich mal alle viere von sich strecken. Endlich mal den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Andererseits, es wäre auch nicht so ganz verkehrt, wenn es jetzt an die Tür pochen würde und ein neuer Gast käme und brächte Leben in die Bude ... Da hört man doch mal, was in der Welt vorgeht.
     
    Das Tantchen überlegte, ob sie es erzählen soll, daß der Maler so merkwürdige Andeutungen gemacht hatte? Ob sie wisse, daß in der Ziegelei Dinge passierten, die mit Recht und Gerechtigkeit nicht viel zu tun haben? Daß er es mit eigenen Augen gesehen habe, daß die Leute da geprügelt werden? Wahre Jammergestalten?
    Und: das Hitlerbild solle sie abnehmen?
    Was ging den Mann das an?
    Ob man so was nicht anzeigen müßte? Den Anfängen wehren, sonst geht alles den Bach herunter. Der Führer – war er nicht der letzte Halt?
     
    Von der Ziegelei hatte Katharina auch schon gehört. Von Felicitas’ Fenster aus hatte sie die Männer gesehen, wie sie in der Kälte das Senthagener Tor verbarrikadierten. Und ihre Freundin hatte ihr von den Männern erzählt, daß die um Essen gebettelt hätten, von dem SS-Mann weggestoßen: Ihr Mann kannte diese Typen aus Graudenz. Der habe gesagt: «Gib solchen Leuten nichts, die wirst du nie wieder los, das sind doch alles Verbrecher! Die sind wie die Kletten, wenn du sie vorn rausschmeißt, kommen sie hinten wieder rein! Außerdem ist es verboten, wenn du das tust, handelst du dir sonstwas ein! » Ja, von der Ziegelei hatte Katharina gehört, aber was hatte sie damit zu tun?
    Eberhard hatte ja in einer dunklen Stunde davon gesprochen, daß im Osten nicht alles mit rechten Dingen zuginge. Auf einer Dienstfahrt hatte er mal was beobachtet ... Oh, oh! Wenn der Wind mal drehte, käme allerhand auf uns zu ...
    Und nun saß er in Italien.
     
    Daß bei dem Tantchen ein Hitlerbild hing, hatte Katharina überhaupt nicht gewußt. «Mein Kampf», das Buch stand im Regal, noch nie gelesen ... – Der Onkel Josef hatte gesagt: «So verkehrt ist der Mann nicht ... »
     
    Einen Schnaps wollte das Tantchen haben ... «Es ist alles nicht so einfach ... » Katharina nahm aus der Schatulle ein Fläschchen und zwei Gläser und schenkte der Tante und sich was ein. Vielleicht würde ihr danach ein bißchen weniger «hängerig» sein. Peter bekam «Gänsewein» in sein Gläschen, und sie prosteten einander zu.
    Der Junge fachte das Kaminfeuer derartig an, daß man schon meinen konnte, das ganze Haus werde abfahren.
     
    Und dann nahm das Tantchen die Laute zur Hand und begann die Lieder ihrer Jugend zu klampfen und mit brüchiger Stimme dazu zu singen, die Erinnerungsbänder des

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