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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Straßensänger und das kleine Café. Eberhard hatte auf die Serviette Zahlen geschrieben und es ihr vorgerechnet: wie wundervoll das Geld sich mehrte auf dem Konto, die englischen Aktien, die Prozente aus Rumänien? Wie gut, daß man die Landwirtschaft los war ... Und sie hatten erörtert, was mit dem sich wie von selbst vermehrenden Geld anzufangen sei. Am Ende würde man gar mal mit der «Bremen» nach Amerika fahren?
    Gott sei Dank hatte man das Gut nicht mehr am Hals! 4000 Morgen – Pferde, Trecker, Mägde, und jedes Jahr die Schnitter aus Polen?
     
    Der Gardasee. Sie waren mit einem Boot auf die andere Seite gefahren, die Seite, die im Schatten lag. Und da drüben war gar nichts los gewesen! Aber einen schönen Ausblick auf das sonnige andere Ufer hatten sie gehabt.
    «Eberhard als Kapitän!» stand unter dem Foto, er stand in dem Boot und hielt die Hand über die Augen.
    Dann hatte Eberhard die Uniform anziehen müssen, und als «zurückgeschossen» wurde, war Schluß gewesen mit den englischen Geldern, und die Rumänen zahlten nicht. Statt dessen war dann das Offiziersgehalt eingetroffen, Monat für Monat, ganz von allein.
    Aus Frankreich hatte er Wein und Schokolade geschickt, und aus Griechenland Zigaretten. Und aus Rußland braunen Zucker und Sonnenblumenöl.
     
    Das Telefon auf dem Schreibtisch: Es fehlte jemand, mit dem sie jetzt hätte sprechen können. «Ja, bist du denn verrückt?» hätte Felicitas gesagt. Von da her war kein Verständnis zu erwarten. Oder doch? Felicitas hätte vielleicht sogar gelacht! «Du machst Sachen!»
    Mit Wladimir, dem Polen, hätte sie vielleicht darüber reden können. Aber der war gegen Kommunisten und gegen Juden, und vom 20. Juli hatte er gewiß keinen Schimmer. Und dem wäre man dann ausgeliefert, auf Gnade und Barmherzigkeit. Der hätte einen dann in der Hand. Der würde sich dann an den Kamin setzen und die Puppen tanzen lassen.
    Und das Tantchen? Hinübergehen und sagen: «Du, hör mal zu, ich muß dir was sagen ... »
    Und die hatte ein Hitlerbild bei sich hängen.
     
    Drygalski fiel ihr ein – warum gab es niemanden, dem man sich hätte anvertrauen können?
    Vor Drygalski hatte sie keine Angst. Es war ihr jetzt fast so, als spiele sie ihm einen Streich.
    «Das kriegen wir schon», hätte er vielleicht gesagt und sie vor allem beschützt.
     
    Drygalski saß zu dieser Zeit am Bett seiner kranken Frau. Er hielt ihre Hand. Und die Frau starrte an die Zimmerdecke, grau im Gesicht.
    Die lustige Hochzeit, schon vorher immer so lustig – sie hatten es sich ausgemalt, in einem Klepperboot wollten sie zu Tal paddeln, aber das hatte sich dann nicht ergeben. Schon bald war der Junge gekommen, und dann? Immer nur hinterm Ladentisch stehen, ein Achtel Jagdwurst, damit man auf den grünen Zweig kommt? Die neue Wurstschneidemaschine angeschafft, «darf’s etwas mehr sein?» und dann die große Pleite ...
    Es war kein Wucherer gewesen, der ihm das letzte Hemd auszog, es war das Finanzamt, dem man nicht gewachsen gewesen war.
    Vorwürfe hatte sie ihm nie gemacht, sie hatte ihn immer nur angeguckt, ob er es auch schafft, etwas Neues zu finden?
     
    Und nun die Flüchtlinge aus dem Osten, Lettland, Estland, einzeln, in Gruppen, zu Fuß, mit der Bahn oder im Pferdewagen. Er hatte sie bisher noch alle unterbringen können. In der Siedlung war bisher jeder untergekommen, mal hier, mal dort hatte er die Leute einquartiert. Jeder hatte welche nehmen müssen. Er hatte sich ein Schema gemacht, damit er die Übersicht behielt. Flüchtlinge: Manch zwielichtige Typen waren darunter, die gern mal was mitgehen ließen. Manche wuschen sich nicht oder meckerten herum. Aber auch altes, prachtvolles Volksgut, holzschnitten, aufrecht und unerschrocken. Deutsches Blut, das gerettet werden mußte. Die Heimat breitete die Arme aus.
     
    Auch der Georgenhof würde belegt werden müssen. Das würde sich nicht vermeiden lassen. Es würde mit Takt geschehen. Vielleicht kämen einmal geeignete Leute. Vor kurzem der pensionierteLandrichter mit seiner Frau, der hätte zu den Globigs gepaßt, aber der hatte sich nicht lange aufgehalten, der war gleich weitergezogen. Hatte prüfend die Luft eingesogen und war weitergefahren. Keiner hielt sich lange auf. Ein paar Tage warten und dann auf und davon.
     
    Drygalski hielt die Hand seiner Frau. Vielleicht, dachte er, sollte ich ihr was aus der Zeitung vorlesen. Das würde sie auf andere Gedanken bringen. Aber – «Absetzbewegungen». Wie sollte er ihr das

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