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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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irgendwie zurechtmachen? Das Haar «richten»? Die Kerzen am Kandelaber entzünden? – Katharina wischte das Waschbecken im Bad sauber – würde es hygienische Probleme geben? Ein Mann ? Und sie kroch wieder und wieder in die Abseite und machte sich dort zu schaffen, alles etwas wohnlicher machen: die Zigaretten, den Kakao und den Rotwein aus Italien, die siebzehn Flaschen «Barolo Riserva» – alles so weit wie möglich nach hinten stopfen. «Das ist etwas ganz Besonderes», hatte Eberhard gesagt. «Den trinken wir, wenn der Krieg aus ist.»
    Sie stellte innen einen Koffer quer vor die geheimen Schätze, legte noch eine Matratze hinein: hier würde der Mann doch ohne weiteres schlafen können? Eine einzige Nacht? Schön warm war es neben dem Schornstein. Und direkt romantisch. Hier würde man ihn lange suchen können.
    Die Abseite war abschließbar. Vielleicht müßte man ihn einschließen? Soviel zu fragen, soviel zu bedenken.
     
    Katharina hörte im Radio die Nachrichten ab, leise, leise ... Von Abwehrkämpfen im Westen war die Rede, von Absetzbewegungen und von Terrorangriffen. Vom Osten kein Wort. Auch nicht über BBC. Aber irgend etwas lag in der Luft, das war zu spüren. Die Russen würden angreifen, eine brüllende Horde:Rache! Aber wann? Morgen? Übermorgen? In einer Woche? In zwei Wochen? Wann? Mußte man denn jeden Tag damit rechnen?
     
    Dies kleine Lied soll uns verbinden,
    dies kleine Lied durch Raum und Zeit.
    Dies kleine Lied, es soll dir künden,
    daß ich bei dir, und bist du noch so weit ...
     
    Gegen Mitternacht bellte der Hund – Katharina war auf und ab gegangen und hatte sich gerade wieder in den Wintergarten gesetzt. Und als sie schon erleichtert dachte: er kommt nicht, er hat es nicht gefunden, Gott sei Dank, es war alles nur ein Spuk, – da hörte sie den Hund und sah einen Mann auf dem Trampelpfad, und der warf seinen Schatten im Mondlicht wie einen Zeiger auf den Schnee.
    Katharina stellte die Kakteen auf dem Fensterbrett zur Seite und öffnete das Fenster. Sie blinkte ein-, zweimal mit der Taschenlampe. Und da hörte sie auch schon, wie jemand die Stakete ergriff, sie bog sich unter seinem Gewicht ein wenig. Und der Hund lief in der Halle umher und bellte wie rasend, wie er es sonst tat, wenn eine Ratte vorüberlief oder im Sommer ein Igel.
    Vorsichtig, aber behende stieg der Mann zu Katharina herauf, und dann schwang er sich auch schon über das Fensterbrett. Brachte etwas Schnee mit herein und stand auf beiden Beinen. Wenn er hinuntergestürzt wäre, dann wäre alles aus gewesen. «Es war ein Dieb», hätte man dann sagen können, «ein Dieb in der Nacht. – Ich kenne den Menschen nicht.»
    Katharina schloß das Fenster – kalte Luft war eingefallen –, und da spazierte er auch schon in ihrem Zimmer umher.
    Ein unrasierter, kleiner Mann mit schwarzen Bartstoppeln und verwegenem Gesichtsausdruck: «Das hätten wir», sagte er und haute seine Mütze auf die «Kauernde». Sah an ihr herunter: schwarze Schaftstiefel? Lächelte: Eine Frau in Stiefeln?
    Und dann zeigte er ihr die Hände, die er sich an den Dornen der alten Rosen blutig gerissen hatte.
     
    Kein alter Herr, kein fescher Leutnant, kein Organist – ein einfacher, festgefügter Mann. Er trug eine Bauernjoppe, und eine Art Felleisen hatte er unter dem Arm, und Kälte brachte er mit sich. Er blieb mitten im Zimmer stehen und lauschte auf den Hund, der da unten bellte, und zeigte ihr seine blutenden Hände. Katharina holte Leukoplast und eine Schere und klebte die Risse damit zu. Und dabei traf sie sein Atem.
    Als der Hund sich endlich beruhigt hatte, strich er einmal durch die Zimmer, prüfte die Türen, die Fenster, und dann stellte er sich an den Ofen.
     
    Erwin Hirsch hieß er, und er war Jude, und er kam aus Berlin, und ihm war kalt. Aus Berlin kam er, und er wollte den Russen entgegenfliehen, beinahe wäre er entdeckt worden, in Mitkau, die Posten am Senthagener Tor! Pastor Brahms hatte ihn nicht gewarnt, der hatte kein Wort verloren über die Wache dort. Um ein Haar wär’ alles aus gewesen. Ein offenbar weltfremder Mann, dieser sonderbare Pastor ... über die Mauer hatte er hangeln müssen! Wie Josuas Kundschafter.
    Und dann der weite Weg von Mitkau hierher! Über eine Stunde am Straßenrand entlang. Bei jedem Fahrzeug sich in den Graben schmeißen, daß ihn nur ja keiner sieht?
    Er legte die Handflächen an die warmen Ofenkacheln, und nur allmählich wurde er ruhiger.
    Auch Katharina zitterte, obwohl sie nicht

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