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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Katharina, die ins Leere guckte. «Du siehst heute so anders aus? So jung?» Nein, Katharina hatte nichts. Sie kratzte sich am Kopf. Sie wunderte sich. Ein fremder Mann hatte bei ihr kampiert. Alles so schnell vorübergegangen, das Wagestück, war es wirklich vorüber? Oder kam da noch was nach? Würde es ihr anhängen?
    Daß das so leicht gegangen war?
    Es war ein Schemen, dachte Katharina.
    Sie stellte sich ans Fenster, der Morgen graute, und da draußen gab es allerhand zu sehen: In der Siedlung standen die Menschen auf der Straße und horchten und erzählten einander, daß es in der Ferne donnert und blitzt.
     
    Auf der Straße war es lebhafter geworden, einzelne Motorräder knatterten an Georgenhof vorbei – und da! man hatte es schon kommen sehen: Ein Kübelwagen der deutschen Wehrmacht raste die schneeige Straße heran. Es trug ihn aus der Kurve, und er stürzte den Abhang zur Siedlung hinunter. Ein General saß darin, und der war sofort tot! Peter beobachtete es mit dem Fernglas seines Vaters, einen General hatte er noch niegesehen, die roten Biesen an den Hosen ... Und nun sah er sogar einen toten! Eben noch den Fahrer angeschrien: Los, fahren Sie, fahren Sie schneller! – Ausgerechnet heute nicht bei der Truppe ... Dann Kobolz geschlagen, sich gestreckt und – aus?
     
    Fahrer und Beifahrer trugen den toten General in ein Siedlungshaus, den wackelnden Kopf hielt einer fest. Deutsches Kreuz in Gold. Vor dem Haus versammelten sich die Frauen aus der Siedlung und Kind und Kegel, und auch die Männer vom Waldschlößchen kamen gelaufen, die wollten auch den toten General sehen.
    Drygalski scheuchte die Fremdarbeiter fort: Das war ja wohl die Höhe, daß die sich hier am Anblick eines toten deutschen Generals weiden wollten? Und die Frauen aus der Siedlung fragte er, ob sie nichts zu tun haben?
    Die Frage stellte sich: Was nun? wo beerdigte man einen General? Vielleicht in die Heimat verbringen?
    War das auch Heldentod?
    Und: Was würde die Truppe da vorn nun machen, so ganz ohne Führung? Aber es gab ja gewiß nicht nur einen General.
    Er telefonierte mit seinem Amtsapparat die Partei an, in Mit- kau. Aber die Partei war nicht zuständig, auch die Ortskommandantur nicht und nicht die Polizei. Ein Rudel Hitlerjungen kam herbei, aber den toten General kriegten sie nicht zu sehen, wie sehr sie sich auch vor der Haustür drängten. Drygalski hielt ihnen eine kleine Rede. Er sprach von einer Bewährungsprobe, die es zu bewältigen gelte, und gab ihnen Instruktionen: Nach Mitkau sollten sie marschieren und sich melden. In diesen Tagen gab es wieder mal viel zu tun für die deutsche Jugend. Erst mal melden dort, das Weitere würde sich finden. Endlich kam ein Wagen und holte den Toten. Die Frauen falteten dieHände, als man ihn einlud, und Oberwart Drygalski grüßte mit ausgestrecktem Arm.
     
    Das Rollen hinter dem Horizont, das Beben des Bodens. Es stampfte und rüttelte, und man konnte einzelne besonders starke Explosionen voneinander unterscheiden. Wieviel Kilometer mochten es sein bis zur Front? Hundertfünfzig? hundert? oder fünfzig? Eigentlich ja noch sehr weit, aber so weit auch wieder nicht.
     
    Nun kam aus Mitkau eine Reihe von Sankras, sie fuhren langsam vorüber, das rote Kreuz groß und breit auf dem Dach und an den Türen, einer hinter dem andern: Das Mitkauer Lazarett wurde evakuiert. Auch einzelne Pferdefuhrwerke suchten ihren Weg. Und ihnen entgegen flitzten zwischenhin die flinken Kräder der Melder.
     
    Haltet aus! Haltet aus! Haltet aus im Sturmgebraus!
     
    Aus der sich lang hinziehenden Sanitätskolonne scherte ein einzelner Soldat aus.
     
    Sag beim Abschied leise Servus ...
     
    Es war der einhändige Pianist, der in Georgenhof mit der Geigerin so schön Schlager gespielt hatte, erst ein paar Tage her und doch schon bald nicht mehr wahr!
    Er kam auf den Hof gelaufen und knallte die Hacken zusammen. Nur eben schnell mal eingucken, ob auch alles in Ordnung ist. Und ob Fräulein Strietzel noch da ist? Wenn sie noch da ist, dann wäre es am besten, sie fahre gleich mit, das ließe sich ohne weiteres deichseln.
    Nein, die Geigerin war nicht mehr da, die war längst in Allen- stein. Oder war sie sonstwo?
     
    Eine Rote-Kreuz-Armbinde trug der Soldat jetzt, und während draußen ein Fuhrwerk hinter dem anderen Verwundete davon- schaffte, erzählte er den Frauen, wie fabelhaft alles organisiert ist: «Sofort räumen!» war gerufen worden, und die Schwerverwundeten und frisch Operierten hatte

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