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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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giftig? und der war ja sogar mal bis ins Haus vorgedrungen ... Der trug gewiß ein scharfes Messer bei sich. Dem war alles zuzutrauen.
    Egal, ob Tscheche, Pole oder Italiener. Um einen Fall von Blutschande handelte es sich jedenfalls nicht. Und Vera gab keine Auskunft in dieser Angelegenheit. Sie weinte.
     
    Frau Hesse wurde zu Rate gezogen, sie hatte zwar Peter rasch helfen können, aber in diesem Fall waren ihre ärztlichen Künste nicht ausreichend. Eine Fußverstauchung hätte sie durch Anlegen eines Kreuzverbandes beheben können und einen Schnitt in den Finger, aber in die Angelegenheiten einer unerwünschten Schwangerschaft mischte sie sich nicht ein. Das war bei den Braunen Schwestern nicht diskutiert worden. Einem Menschen das Leben zu schenken, das sei doch wunderbar? Wieso sollte man das verhindern?
    Nicht so schwer heben, das war ihr Ratschlag, und nicht von einem Hocker herunterspringen, sonst gibt es einen Abort. Daß Vera immer wieder von einem Hocker sprang, wo und wann es nur irgend ging, hörte man durchs ganze Haus. Vielleicht hilft Johanniskraut? fragte das Tantchen. Aber woher Johanniskraut kriegen? Und wogegen sollte es helfen?
     
    Mit Katharina legte Frau Hesse Patiencen, mit den Ukrainerinnen flüsterte sie, und ihrem Mann kochte sie Nockerln, wofürer sie, trotz seiner großen Schwäche, unterm Kinn kraulte, obwohl, wie er sagte, die Nockerln nach Sidol schmeckten.
     
    Als Frau Hesse von den Problemen des Hauses Drygalski hörte, setzte sie sich ihren Hut auf und ging hinüber und redete mit der Frau. Heil Hitler. Eine Frau in den besten Jahren und liegt im Bett? Lange und eindringlich führte sie ihr vor Augen, daß man sich zusammennehmen muß! Sonst kommt der Mann auf andere Gedanken! Sie redete von dem wundervollen Haus der Drygalskis und wie schön sie es eingerichtet haben. Und sie zeigte auf das Bild des gefallenen Sohnes, der Ähnlichkeit mit Peter hatte, wie sie fand, und auf das Kruzifix, wo sie das herhat?
    Und, o Wunder, frisches Blut zirkulierte in den Adern der Frau. Sie setzte sich auf und verlangte einen Spiegel. Und am nächsten Morgen stand sie in der Küche und briet ihrem Mann zwei Setzeier auf Speck!
    Eine Frau müsse um ihren Mann kämpfen, hatte Frau Hesse ihr ins Ohr geflüstert, und: sie sähe doch noch immer ganz gut aus? Habe einen verschmitzten Zug um den Mund? Den gälte es zu kultivieren? Einfach aufstehen und dem Manne mal ein verschmitztes Lächeln schenken! Und das tat die Frau denn auch. Drygalski wäre bald in die Knie gesunken vor diesem Wunder. Aber als er die Eier aß, die sie ihm briet, wurde er auch wütend. Wieso denn das auf einmal? Hatte es womöglich all die Zeit gar nicht so schlimm mit ihr gestanden? Hätte ihm also jeden Tag Eier braten können und mal eine Lungwurst mit grünem Kohl? Er rackert sich ab und macht sich Sorgen? Betütert sie von vorn bis hinten? Hätte sich beinahe noch was eingehandelt wegen diesem Mädchen da, wie hieß es noch? Die Hitze war über sie gekommen, und umhalst hatte sie ihn, in der Kellertür, bei drängendem Leibe.
    Drygalski ging um sein Haus herum und spuckte in die Büsche. Nein. Er hatte sich zum Narren halten lassen, und das nahm er nicht hin!
     
    Abends am Kamin, in gemütlicher Runde, zu der man die Hesses notgedrungen gebeten hatte, erzählte Lehrer Hesse dem Studienrat Dr. Wagner, wie nett er immer zu den Dorfkindern gewesen sei, alles immer im Guten versucht, obwohl auch Strenge zum Lehrerhandwerk gehöre, und daß der Schlaganfall ihn ausgerechnet an einem Sonntag ereilt hatte! Ohne Vorwarnung, morgens, beim Frühstück!
    «Wir haben zuerst an nichts Schlimmes gedacht», sagte die Lehrersfrau, «aber als ihm dann der Speichel aus dem Mund troff ... » Da habe sie gedacht: Halt mal, stop! und sei sofort zum Arzt geradelt ... Ja, und nun saß er da, die Hände im Schoß, sie hatte ihm eine Decke um die Beine gewickelt, und so saß er nun da, mit welken Beinen. Und in früheren Jahren hatte er den Felgumschwung am Reck vollbracht und den Grätschsprung über das Pferd?
     
    Sein liebes Königsberg! sagte Dr. Wagner. Am Pregel in einem kleinen Restaurant gebratene Flundern gegessen ... Und dann das Tuten der großen Schiffe vom Hafen her, so «buhht-buhhtbuhht ... » Er hatte seine Gedichte mitgebracht, weshalb sollte er sie nicht darbieten? Am Kamin sitzen und Gedichte deklamieren, das war Geselligkeit in altem Stil. Hund, Katze, zu Füßen des lebensspendenden Feuers? Und die Kinder mit großen

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