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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Augen?
    Er behandelte den neuen Gast höflich, es war ja im Grunde ein Kollege ... die Frau ja auch ganz nett, in ihrem handgewebten rostroten Rock. Aber als der Mann dann wieder und wieder von seinem Schlaganfall erzählte, guckte er gen Himmel, und seineBlicke trafen sich mit denen Katharinas. Es blieb ihm verborgen, daß auch der Dorfschulmeister seine Blicke gen Himmel sandte, wenn auch aus anderen Gründen: Das hat ihm noch gefehlt! dachte der, ein Stupidienrat! und Gedichte!
    Wagner beließ also die Gedichte in der Tasche. Im übrigen hatte er das Teleskop mitgebracht aus der Schule. (Steht da so herum und wird von niemandem je genutzt?) Da er nun mit seinen Gedichten nicht landen konnte, ging er mit den Jungen hinaus ins Freie, um Sterne zu beobachten. Aber der Himmel war bedeckt.
    «Tür zu! » rief der Lehrer.
     
    Wagner sagte also auf Wiedersehen: In diesen Zeiten gehöre ein jeder in seine eigenen vier Wände. Er versuchte es: er führte Katharinas Hand an seine Lippen, wie der Baron es wieder und wieder getan hatte, aber sie entzog sich ihm mit einem Ausdruck des Widerwillens.
    Das Teleskop ließ er in Georgenhof. Das konnte er ja nicht gut dauernd hin- und herschleppen.
     
    Er dachte auf dem Heimweg an Katharina – dieser Frau hätte er gern seine Gedichte vorgelesen, oben in ihrem Boudoir, zu ihren Füßen sozusagen, wie die Alten es getan hatten. Das eine da besonders, das ihm so gut geglückt war. Seiner Mutter hatte er es zum Muttertag geschenkt. «Caput Mortuum ... » Daß es die Frauen sind, die das Leid der Welt tragen. Gott, wie lange war das schon wieder her, daß die Mutter dahingegangen war. Die gütige Frau!
    Wenn er auch die Sterne nicht sah, so war er sich doch sicher, daß ein gütiger Vater seine Hand über ihn hielt. Das Donnern in der Ferne paßte zu seiner Stimmung. – Götterdämmerung! – Das hatte etwas Großartiges an sich.
     
    Daß man auch ihm irgendwelche Leute in die Wohnung setzte ... Dieser Gedanke erfüllt ihn mit Sorge.
     
    In der Nacht lag Katharina angezogen auf dem Bett und lauschte auf das Grummeln in der Ferne. Sie spürte die Erschütterungen, und die Gläser auf dem Waschtisch klirrten leise. Sie mußte mit jemandem sprechen, aber mit wem? Mit Pastor Brahms? Ob alles in Ordnung ist? Gleich morgen auf die Flucht gehen? Sich den Weiterungen entziehen, wenn sie sich denn einstellten ...
     
    Lothar Sarkander war nun schwer zu erreichen, immer war er gerade nicht da, wenn Katharina ihn anrief. Was hätte er auch sagen sollen?
    «Sie können sich doch denken, daß der Bürgermeister jetzt alle Hände voll zu tun hat ... », hieß es. – So war früher nicht mit ihr gesprochen worden.
     
    Katharina öffnete die Abseite. Warum hatte sie sich darauf eingelassen? Und: Warum hatte sie den Mann nicht dabehalten? Wer A sagt, muß auch B sagen? – Sie war froh gewesen, ihn wieder los zu sein, das war die Wahrheit.

Polizei
    A m nächsten Tag Morgen kam ein Anruf aus Mitkau, von der Polizei, Katharina lag noch im Bett, als es klingelte – man habe im Klosterhof einen Mann aufgegriffen, einen Juden! und der habe nach längerem Leugnen gestanden, von ihr in Georgenhof versteckt worden zu sein? ob das der Wahrheit entspricht?
    Und kurz darauf rief auch der Bürgermeister an, Lothar Sarkander, der all die Tage nicht zu erreichen gewesen war, um Gottes willen! Und er wollte diesmal nicht an frühere Zeiten erinnern, vom Sommersaal kein Wort, sondern er sagte ganz direkt: um Gottes willen ... Er habe gehört, man habe ihn kontaktiert ... «Wie konntest du nur, Kathi ... »
    Die Polizei sei bereits bei ihm gewesen, flüsterte er in die Muschel, den Pastor hätten sie schon abgeholt!
    «Wie konntest du dich nur auf so etwas einlassen ... Du mußtest dir doch sagen, daß diese Leute über Leichen gehen!» Man habe einen Zettel bei dem Mann gefunden! eine Wegbeschreibungsskizze, bei der es sich eindeutig um Georgenhof handelte ... «In einem solchen Fall Schriftliches von sich zu geben, das ist sträflich! – Wie warst du bloß naiv ... »
    Man habe dem Mann die Skizze vorgelegt, und da habe er alles zugeben müssen. Ja. Habe noch versucht, sich rauszureden, aber die Skizze!
     
    Gegen Mittag erschien, von Jago heftig verbellt, ein Kriminalbeamter, ein stiller, kummervoller Herr im Ledermantel.Er kamin einem DKW gefahren, er fuhr «vor» und stellte den Wagen direkt vor der Haustür ab. Heil Hitler. Die ganze Belegschaft saß am Tisch um eine dampfende Suppe herum. Die Hesses,

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