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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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das Tantchen und auch Dr. Wagner. Katharina schenkte mit ruhig Blut die Suppe aus, und das machte sie sonst doch nie?
     
    Als Wagner erfuhr, daß es sich um einen Kriminalbeamten handelte, legte er den Löffel hin und schob den Teller zur Seite. Er hielt es für besser, hier nicht weiter zu stören, sondern sofort den Rückweg nach Mitkau anzutreten, obwohl er doch gerade erst gekommen war. Hier entwickelten sich Dinge, mit denen er nichts zu tun hatte? Die Gedichte, die er Katharina hatte zustecken wollen, schob er in die Tasche zurück und schritt rüstig davon. Nicht den Richtweg benutzte er, der war vereist, und einen Sturz, eine gebrochene Hüfte wollte er sich nicht einhandeln auf den letzten Drücker. Ohne zu zögern und aufrecht ging er dem Strom der Pferdewagen entgegen.
    «Ist es noch weit?» fragte ihn ein kleines Mädchen. Wohin? dachte er und zuckte mit den Schultern.
     
    Die Tischgesellschaft war aufgestanden, und die Ukrainerinnen kamen aus der Küche herbei. Der Beamte hatte ein Foto, das hielt er Katharina unter die Nase, und er fragte sie, ob sie diesen Mann kennt? Der habe angegeben, von ihr versteckt worden zu sein in einer Abseite, oben im ersten Stock. «Gibt es in diesem Haus eine Abseite? Oben im ersten Stock? – Und wußten Sie, daß das ein Jude ist?»
    Auch das Tantchen stand auf und sah sich das Foto an, und auch die beiden Ukrainerinnen, die wollten auch alle wissen, ob Katharina den Mann kennt. Und was es mit der Abseite auf sich hat.
    Auch die Hesses schoben sich vor. «Wie? Was? » fragte der Lehrer. «Was ist los?» War es endlich soweit? War die Abreiseverfügung gekommen?
    «Eckbert! Ingomar! »
    Sollte es endlich auf die Reise gehen?
     
    Auch Drygalski stellte sich ein, Heil Hitler, der ließ die Haustür offenstehen, kalt wehte es herein. Auch er wollte das Foto sehen, der Beamte hatte es bereits weggesteckt, und er zog es wieder hervor. Drygalski betrachtete das Foto, ob Katharina den Mann kennt, fragte er Katharina: «Kennen Sie diesen Mann?» Er selbst hatte ihn noch nie gesehen, obwohl er sich in dieser Gegend doch so gut auskannte. Und auch das Tantchen mußte passen.
    Ja, Katharina hatte den Mann gesehen, das sagte sie klar und deutlich.
    Siehste, das hat er sich doch gedacht, daß hier was nicht stimmt! sagte Drygalski. Mit seinen braunen Schaftstiefeln stand er breitbeinig da, und er hätte gern eine Reitgerte in der Rechten gehalten, mit der er an den Schaft hätte klopfen können. Eine Zeitlang läßt man sich täuschen, aber dann kommt alles raus. Einen sechsten Sinn mußte man haben, das war der ganze Witz. Und er sagte es dem Kriminalbeamten: «Den Braten hab ich schon längst gerochen», er habe immer schon das Gefühl gehabt, daß hier was nicht stimmt.
     
    Nun mußte der Tatort besichtigt werden. Die ganze Gesellschaft setzte sich in Bewegung und stieg als Kavalkade in den ersten Stock hinauf. Drygalski stieg die Treppe als erster hinauf, er wisse hier Bescheid, sagte er. Drygalski also vorneweg, dann aber doch vom Kriminalbeamten überholt, die schmale Treppe, die Dunkelheit. Die Hesses und die Mädchen aus der Küche folgten, das Spültuch noch in der Hand.
    Als letzte stieg Katharina die Treppe hinauf, und sie hielt sich am Geländer fest. Sie hatte es nicht so eilig.
    Oben stand die ganze Meute und sah zu, wie sie da so langsam Stufe für Stufe hinaufklimmt. Sie gab den Schlüssel her, und die Tür wurde aufgeschlossen; das ungemachte Bett, ein offenes Pillenröhrchen und eine angebrochene Flasche Wein auf dem Nachtschrank. War es hier zu widernatürlicher Unzucht gekommen? Die «Kauernde», wenn man sich so was schon hinstellt? Um Gottes willen?
     
    Der Beamte trat mitten in das Zimmer und sah sich um. Kein Zweifel, dies war das Schlafzimmer der Frau von Globig. Daneben das Wohnzimmer, und dort drüben das Bücherzimmer mit dem Bett des Sohnes. Goldbronzierte Konsolen?
    Im Wintergarten öffnete er das Fenster und sah das Spalier hinunter. «Und am Spalier ist er zu ihnen heraufgeklettert? Die Kratzspuren hatte er noch an den Händen, sie waren sorgfältig verpflastert.» – Naja, wenn’s ums Leben geht, dann klettert man eben auch mal ein Spalier hinauf.
     
    Drygalski schob sich vor und sah auch in den Park hinunter, auf den getrampelten Halbkreis im Schnee. Und er sagte, er weiß alles ganz genau: Ihm sei das gleich so komisch vorgekommen, neulich, bei der Bestandsaufnahme leeren Wohnraums, da habe die Truhe ganz woanders gestanden ...
    Ob das wahr

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