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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ist, die Sache mit der Abseite, fragte der Kriminalbeamte. Das konnte doch eigentlich gar nicht sein? Aber doch, es konnte sein. Eine Abseite?
    Drygalski ließ sich nieder auf die Knie und schob sich schnaufend hinein in das Loch. Eine Matratze? Kissen? Decken? und hier: Eine Nachttischlampe? Beleuchtung in einer Abseite? Und dann begann er unter der Schräge zu wühlen wie ein Eber nachTrüffeln, und: «Hier!» Er warf dem Beamten Schokoladentafeln vor die Füße. «Und hier!» Tabakpäckchen, Zigaretten – auch die Weinflaschen ließ er herauskullern! «Hier, italienischer Wein!»
    «Wein aus Italien ... », sagte er anklagend zu dem Beamten. Und dem war alles klar.
     
    Katharina stand neben der «Kauernden» unter den Zweigen der Zimmerpalme. Das Tantchen in der Tür, die Hesses und die beiden Mädchen aus der Küche. Herr Hesse sagte laut und deutlich, ja, auch ihm sei das komisch vorgekommen, immer diese Abschließerei, und ihm sei so gewesen, als sei der Radioapparat gelaufen, öfter als normal und mitten in der Nacht. Er wies auf seinen Schlaganfall hin und wie schwer ihm die Behinderung zu schaffen mache und wie dringend er Ruhe braucht. Die linke Seite sei taub, und manchmal sei ihm so komisch zumute. Seiner Frau sei es zu danken, daß er überhaupt noch auf zwei Beinen steht. «Der Speichel troff dir aus dem Mund», habe sie gesagt, und da sei ihr alles klar gewesen.
     
    Drygalski mischte sich in die Vernehmung ein. Der Beamte war ihm denn doch etwas zu höflich, lächelte so konziliant? Sollte man diese Frau nicht schärfer anfassen? – Einen Judenbengel zu beherbergen, von sonstwoher. Ja, von woher eigentlich? War da vielleicht ein ganzes Nest aufzudecken? Waren hier etwa seit Wochen Juden aus und ein gegangen? Hätten sich totgelacht über den Schicksalskampf des deutschen Volkes? und gefressen und gesoffen? Barolo Riserva, Giacomo Borgogno? «Und Sie haben dem Mann die Hand gereicht? – Ja? Haben Sie ihm die Hand gereicht? Vielleicht in demselben Augenblick, in dem ein deutscher Soldat an der Front sein Leben ließ?»
    Er betrachtete das ungemachte Ehebett. «Widerlich ist das! » Eine deutsche Frau, und sich einlassen mit einem Juden! «Ist das nicht widerlich, Herr Kommissar?»
    Was ihr sauberer Mann machte, das wollte er wissen. Italien? Aalt sich in der Sonne, während das Deutsche Reich um seine Existenz kämpft?
    «Das ist doch kein Zufall, daß der ausgerechnet jetzt in Italien ist.»
    Er nahm Eberhards Foto vom Nachttisch und warf es auf das Bett, und da lag es dann, und die angebrochene Weinflasche auf dem Nachtschrank, und in der Tür standen all die Leute und fragten sich, was wohl aus dieser Sache wird.
    An sich war ja alles sonnenklar.
     
    Dem Beamten war das Gewese nicht recht, er hatte Katharina eigentlich zunächst von Felicitas grüßen wollen und dann so langsam von hinten herum sich dem Fall nähern, die Sache eruieren. Er hatte so seine eigenen Gedanken.
    Er betrachtete das Etikett der Weinflasche und nahm das Pillenröhrchen in die Hand. Und dann schloß er das Fenster im Wintergarten und nahm das Buch «Deutsche Dome», zur Hand. Ja, es war fast so, als wollte er Katharina trösten, vielleicht ist alles nicht ganz so schlimm? «Wir reißen niemandem den Kopf ab ... »? Erst mal alles in Ruhe untersuchen. Vielleicht hatte der Kerl sich ja auch alles ausgedacht? Aber das Spalier hinaufklettern? in die Abseite kriechen? Und die Skizze, mit Rotstift sauber ausgeführt? Von Katharinas eigener Hand? «Was wir verloren haben» hieß die Broschüre, die er aus dem Regal zog, es war das Straßburger Münster darauf abgebildet. «Immer dran denken», stand als Widmung darin. Und: «Alles umsonst!»
    Katharina stand am Türpfosten. Drygalski mied ihren Blick, er betrachtete den Haufen Tabak und die Schokolade, alles, was er da aus dem Versteck geholt hatte, was hier nun auf dem Boden lag, Leckereien, mit denen sie den Juden gefüttert hatte ... Diese Luxusgüter würde er Alten und Kranken zuführen müssen, das war ihm klar. Er wollte schon lange mal im Kloster nach dem Rechten sehen.
    Er knipste das Radio an, BBC? – Nein. Da war nur das Zeitzeichen der Deutschen Seewarte zu hören und anschließend der langsam gesprochene Wehrmachtbericht zum Mitschreiben, für die Leute, die schwer von Begriff waren.
     
    Hier war nun nichts mehr zu holen. Alles machte kehrt, und alle gemeinsam gingen sie hinunter in die Halle. Herr Hesse zog sich in sein Zimmer zurück, der mußte dringend seine

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