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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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vorher nicht dort gestanden hatte, sah Peter sofort. Die Frage stellte sich, ob die Kisten im Saal überhaupt noch unbeschädigt waren?
     
    Die fremden Jungen riefen zu Wladimir hinüber: «Polacke! » Da schnappte der sie sich und schlug ihnen welche hinten vor, kräftiger als nötig. Man konnte nur hoffen, daß Drygalski das nicht gesehen hatte. Deutsche Jungen von einem Untermenschen gezüchtigt?
    War es ein Zufall, daß der Pole den Hesses am Abend nur nasses Holz brachte für ihren Ofen?
     
    Sie liefen durch den Wald, an der Schloßruine vorüber, zum Fluß hinunter, wo der alte Kahn lag. Dort schlidderten sie über den Fluß ans andere Ufer und sahen den langen Treck über die Brücke heranziehen.
    Sie liefen auch zu den Fremdarbeitern ins Waldschlößchen. Die hatten doppelstöckige Betten, und es war dort ziemlich eng. Der Tscheche wollte sie sofort raussetzen, aber die andern waren freundlich zu den drei Jungen. Wie stark sie sind, fragten sie und befühlten ihre Muskeln. Der Rumäne brachte ihnen das Rauchen bei und zeigte ihnen, wie Geld verschwindet, das eben noch auf dem Tisch gelegen hat. Marcello, der Italiener, sang ihnen zur Mandoline ein neapolitanisches Liedchen vor. Er hatte die Wände mit nackten Mädchenbildern vollgemalt, gegen die die «Kauernde» gar nichts war.
    Der Tscheche schnitzte ihnen Dolche. Und er zeigte ihnen, wie man jemandem mit einem Messer die Kehle durchschneidet. Rumänien? Keine Ahnung, wo das lag.
    Der sehnlichste Wunsch der Jungen wäre es gewesen, wenn sie bei diesen Leuten mal eine Nacht hätten schlafen dürfen, aber das würde natürlich nicht gestattet werden.
    Am besten ganz bei ihnen bleiben, das wäre nach ihrem Geschmack gewesen, mit ihnen davonziehen und ein Abenteuer nach dem anderen bestehen.
    Eine Pfauenfeder brachten sie den Leuten mit, und die wurde ohne weiteres akzeptiert. Eine Pfauenfeder hatte denen noch gefehlt. Nun war es richtig gemütlich.
    Natürlich durchstreiften die Jungen auch das ganze Waldschlößchen, den getäfelten Speisesaal mit einem einbeinigen Flügel in der Ecke, die mit Brettern vernagelte Kaffeeterrasse und auch die Räume mit den Ersatzteilen des NSKK. Hier eignete sich Peter blankes Gestänge an, das konnte er für sein Baumflugzeug gut gebrauchen.
     
    Das Tantchen wunderte sich, daß die Hühner auf einmal keine Eier mehr legten. Dafür herrschte jetzt bei den Leuten im Waldschlößchen Fettlebe.
    «Haucht ihr mich mal an?» sagte die Frau des Dorfschulmeisters zu ihren Jungen. «Ihr raucht doch nicht etwa?»
    Ob sie wüßten, daß das sehr ungesund ist?
    Der Lehrer warf die Bettdecke von sich, unter der er sich wärmte, und er schimpfte! Warum seine Frau die Jungen nicht besser beaufsichtigt! Donnerwetter noch mal! Seit Jahren hat er es verhindert, daß sie rauchen, und nun fielen alle Schranken! Fehlte noch, daß sie mit einer Buddel Schnaps ankämen!
     
    Peter kletterte mit ihnen in das Baumhaus hinauf und stattete es mit dem blanken Gestänge aus. Ein Rückspiegel ließ sich anbringen, aber die Hupe ließe man besser fort.
    Sie guckten sich den Treck an von hier oben, einzelne Menschen, zu Fuß; Pferdewagen, hochbepackt. Leute mit Fahrrad, andere mit Schlitten. Sie zählten die Wagen, bei zweihundert hörten sie auf.
    Sie sahen auch einen Zug Gefangener, aus der Ziegelei kamen sie, in gestreiften Mänteln und Holzpantinen, traurige, sich dahinschleppende Gestalten. Links und rechts bewacht von Soldaten mit Gewehr im Anschlag.
    Oben am Fenster erschien das blasse Gesicht des hinfälligen Herrn Hesse, der sah diese Leute auch. Er reinigte sich die Zähne mit einem Hölzchen, und dann klopfte er gegen die Fensterscheibe. Sie sollten mal sofort herunterkommen von diesem Baumhaus da, was das überhaupt soll? Brechen sich noch alle Knochen? Und dann hatte man den Salat? Genügte es denn nicht, daß er selbst fast zu Tode gekommen wär’? Aus heiterem Himmel? – Die gestreiften Leute da – das waren gewiß Volksschädlinge, mochte der Himmel wissen, was die verbrochen hatten ...
     
    Die Frau sah sich draußen um. Einmal ums Haus lief sie, und dann fragte sie: ein so großes Anwesen und kein Garten? «Haben Sie denn gar keinen Garten?»
    «Wir haben einen Park», sagte das Tantchen.
    «Ja, aber ein so großes Grundstück und keinen Garten?» Und sie erzählte von all ihren Dahlien, von den Knollenbegonien, die jetzt im Keller verrotteten, und vom Gemüse. Pferdebohnen! Junge Erbsen! Porree! – Im Stall hingen Harken, Sensen

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