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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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schweren Wagen vorschob, wurde bereits von hinten mit den Peitschen geknallt. «Was ist denn da vorne los?» Die Leute wollten schließlich zusammenbleiben, die waren straff organisiert. Wenn man sich hier aus den Augen verlor, war Feierabend.
     
    Auf Georgenhof nahm inzwischen Sonja alle Schlüssel an sich. Sie öffnete dem Tschechen die Tür und fragte die Hesses, wie lange sie eigentlich noch bleiben wollten. Zu essen rückte sie nichts mehr heraus. Da mußte Drygalski geholt werden, und da ging’s. Ob sie weiß, daß er sie ganz schnell hopsnehmen kann, fragte er Sonja, sie und ihren Galan? Ja? Sie soll mal «zoffort» ins Kütnerhaus, sonst passiert was. Der Tscheche war schon fort.

Rast
    G egen Abend erreichten sie die kleine Stadt Harkunen. In der Hauptstraße links und rechts stand Wagen an Wagen, einer hinter dem anderen, und aus den Fenstern guckten Frauen heraus, die sich ein Kissen untergelegt hatten. Lange mußte man zurückdenken: Als Hitler zum Gau-Tag hier durchkam, da hatte ein ähnliches Gewimmel geherrscht. Auch Kaiser Wilhelm war hier einmal empfangen worden, mit Girlanden und weiß gekleideten Jungfrauen.
     
    Das Tantchen fuhr die Kutsche auf den voll belegten Sportplatz, direkt vor ein Fußballtor. Hier gab BDM heiße Suppe aus. Wladimir lenkte den schweren Ackerwagen in eine Seitenstraße.
    «Morgen früh um fünf Uhr fahren wir weiter!» sagte das Tantchen zu Wladimir. «Und paß auf, daß nicht noch mehr gestohlen wird!»
    «Ja gut, um fünf», sagte der, und sie soll sich keine Sorgen machen.
    «Wir warten hier auf euch», sagte das Tantchen, «hier auf diesem Sportplatz, und um fünf Uhr kommt ihr her, und dann fahren wir weiter. Um fünf Uhr, pünktlich!»
    Parteileute gingen zwischen den Wagen von einem zum andern, Heil Hitler, mit Papieren, die mußten ausgefüllt werden. Sie fragten die vielen Leute, ob sie was brauchten und ob alles in Ordnung ist. Ein ziemliches Durcheinander herrschte auf dem Platz, aber sie schafften das schon, sie würden dashinkriegen. Die Leute waren im großen und ganzen vernünftig. Meckereien hielten sich in Grenzen.
    An Tantchens Kutsche hatten die Ordner zu bemängeln, daß sie irgendwie den Weg versperrte, das ginge aber nicht! Ob sie denn nicht ordnungsgemäß eingewiesen sei? – Nein, sie war nicht eingewiesen worden, sie hatte sich da einfach hingestellt. «Das geht aber nicht, hier kann nicht jeder machen, was er will!»
    Auch hier in dieser Situation, so ungewöhnlich sie auch war, konnte man nicht machen, was man wollte, auch hier mußte alles seine Richtigkeit haben. Sonst würde ja alles in einem unvorstellbaren Chaos enden.
    «Das müssen Sie doch verstehen!»
    Also nochmals los, und der Parteimann ging vorneweg und wies ihr einen Platz an, direkt im Windschutz der Turnhalle. Er hatte wohl auch Mitleid mit der Kutsche – was für ein altertümliches Gefährt. Aber ein Wappen auf der Wagentür! – das hatte schließlich was zu bedeuten.
     
    Das Tantchen bedankte sich für die Einweisung, sie sagte auch «Heil Hitler!» Und: «Dritte Straße rechts steht ein Ackerwagen mit einem Polen und einer Ukrainerin, die gehören zu uns, wenn was ist», und sie sagte noch einmal «Heil Hitler», und der Parteimann tippte sich an die Mütze, der wußte nun Bescheid. Die Frage war nur, ob Wladimir es um fünf Uhr mitkriegen würde, daß sie den Platz gewechselt hatten? Peter stellte sich eine Weile vor das Fußballtor, das Fernglas vor der Brust und die Luftpistole im Gürtelbund, aber ewig konnte er da auch nicht stehen.
    «Junge, was stehst du hier herum?» wurde er gefragt.
    «Das machen wir schon, deinem Wladimir Bescheid sagen, wenn er morgen kommt, darauf kannst du dich verlassen.»
    Der Zufall wollte es, daß eine junge Kriegerwitwe aus Mitkau mit dem Tantchen gemeinsam Suppe faßte. Sie kannten sich nicht, sie hatten sich noch nie gesehen, aber aus Mitkau? So was schweißt zusammen.
    Die junge Frau war in einem spontanen Entschluß bloß eben auf ihr Pferd gestiegen und war losgeritten, hatte alles stehen und liegen lassen, sie hatte weiter nichts bei sich als ein kleines Bündel. In einem Beutel um den Hals trug sie das Eiserne Kreuz ihres Mannes, der in Demjansk gefallen war. Allen zeigte sie das Kreuz, und sie sei fortgeritten, weil es nach Russen gerochen habe!
    Und dann schwang sie sich auch schon wieder auf ihr Pferd und ritt los. Die hielt es hier nicht mehr. «Vielleicht komme ich noch durch ... »
    Unterdessen ging Peter in die Stadt:

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