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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Hielt er den Daumen auf dem Bombenauslöseknopf? War das Maschinengewehr auf die Straße gerichtet?
     
    Zu dieser Zeit lag Katharina in einer kalten Zelle des Polizeigefängnisses auf ihrem Strohsack. Sie konnte nicht schlafen, den Mantel hatte sie über sich gebreitet und zwei Decken. Auf dem Hof machte ein Posten seine Runde. Der leuchtete die Fenster ab, und wenn es ihre Zelle traf, erschien der Gitterschatten auf der Wand. An einen Film mußte sie denken, in dem das auch vorkam, daß eine Frau im Gefängnis sitzt, und der Gitterschatten fällt an die Wand.
    Aber dies war kein Film. Der Schlüssel wurde ins Schloß gestoßen, und sie mußte aufstehen und mitkommen; Eisentreppen, Gittertüren. Und dann saß sie in einem warmen Verhörzimmer auf einem harten Stuhl. Der Beamte an seinem Schreibtisch zeichnete Akten ab.
    Endlich wandte er sich ihr zu. Ob das stimmt, daß sie einem Juden Unterschlupf gewährt hat, wurde sie gefragt, und die Zeichnung wurde ihr gezeigt, mit dem Pfeil darauf, «Georgenhof», und den Angaben, daß der Mann das Spalier hinaufklettern soll. Sie hatte das alles schon zugegeben, und es war auch alles schon aufgeschrieben worden.
    Daß das ganz, ganz schlimm ist, sagte der Beamte, und er wollte wohl gern wissen, ob es zu Annäherungen gekommen war in ihrem Zimmer. Ob sie gewußt hat, daß das ein Jude ist? – Und dann hielt er ihr einen längeren Vortrag über das Volk Israel, und er bezeichnete diese Leute als dreckige Schmeißfliegen und Verbrecherpack.
    Es gab ja nichts zu leugnen, Ausflüchte boten sich nicht an. Daß sie es nicht geahnt habe, sagte sie, von einem Juden habe sie nichts gewußt. Sie habe sonstwas gedacht. Und sie überlegte, ob sie das wohl gemacht hätte, einem Mann Unterschlupf gewähren, wenn sie gewußt hätte, daß es sich um einen Juden handelte. Und sie sagte das auch, und sie fragte den Beamten, ob er tatsächlich meint, daß sie einen Juden verborgenhätte, wenn sie das gewußt hätte, wen man ihr da schickte ...
    «Ja, was haben Sie denn gedacht, wer das sein könnte? Ein Deserteur vielleicht? Oder ein Staatsfeind?» Er möchte nicht sagen, daß das noch schlimmer gewesen sei ...
    Sie dachte an Pastor Brahms, daß der ihr das aufgeredet hatte. Er habe ihr das aufgedrängt, sagte sie. Wäre sie denn auf so was gekommen? Ihr Mann an der Front ...
    «An der Front?» sagte der Beamte. «Schön warm in Italien sitzt er.» Und dann drang er in sie, und er wollte wissen, ob es da oben in ihrem Zimmer zu Weiterungen gekommen wäre? Zu blutschänderischem Treiben? «Haben Sie Alkohol getrunken? – Sie hatten ja einen ganz schönen Vorrat ... Hat er Sie angefaßt? Ist er zudringlich geworden? – Stehen Sie mal auf! »
     
    Endlich trat ein anderer Beamter ins Zimmer. Es war der Mann, der sie geholt hatte. Er brachte sie zurück in die Zelle. Und in der Zelle stand kalt gewordener Kaffee, und da lag auch ein Stück Brot. Sie hätte gern gesagt: «Bleiben Sie hier, bleiben Sie noch ein wenig bei mir ... » Aber da hatte er die Tür schon zugeworfen und hatte abgeschlossen.
     
    Die beiden Wagen aus Georgenhof fuhren dahin. Nach Stunden passierten sie eine Kreuzung. «Albertsdorf 7 Kilometer» stand auf dem Wegweiser. Also rechts ab. Bei Onkel Josef konnte man verpusten, bei Onkel Josef war man zu Haus. Vielleicht lag hier ja schon eine Nachricht von Katharina vor? Mit Josef würde man alles besprechen können. Dann würde man weitersehen. Ans Haff werden wir fahren, dachte das Tantchen, erst in Richtung Elbing, dann abbiegen und ans Haff.
    Onkel Josef war immer kurz angebunden gewesen zu ihr, ja, sowar es gewesen. Wenn er mal nach Georgenhof kam, zu Geschäften, allein oder sonntags mit der ganzen Familie. Man eben mal: wie geht’s? wie steht’s? hatte er zu ihr gesagt, das war aber auch alles gewesen.
     
    Gegen Morgen erreichten sie Albertsdorf. Das Hoftor war mit einer schweren Kette verschlossen. Obwohl man sich doch angemeldet hatte, war hier alles zu! Hier schlief man fest. Wladimir wickelte sich aus den Decken und öffnete das Tor, und er wurde sofort von dem Hofhund angefallen. Mit der Peitsche verschaffte er sich aber schnell Respekt.
    Der ganze Hof stand voll fremder Wagen. Da machte sich schon mancher fertig zur Weiterfahrt.
    «Hier ist kein Platz mehr», sagten die Fremden. Die wußten nicht, daß sie zur Familie gehörten.
    Die beiden Wagen wurden schließlich neben das Silo gestellt, einer links daneben, der andere rechts. Die Stallungen waren bereits mit

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