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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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immer weiter von «erdbraunen Gestalten», die geduckt vorbeigeflitzt wären, und von dem Geschrei der Frauen, und er dann in der Nacht bei 25 Grad Kälte durch den Schnee gerobbt, bis er endlich die deutschen Linien erreichte, wo ihn ein Offizier persönlich beglückwünscht habe.
    Nun kam der Opa von nebenan und machte «hm, hm» über seinen Geschichten, der hörte sich das an, und da wurde es dann auch schon Zeit – «O weh! ich muß ja weg!» –,daß Peter sich dünne machte. «Seine Einheit» warte schon auf ihn, sagte er und rückte die Luftpistole gerade. Die Frau schenkte ihm noch ein Weltkrieg-Buch, das ihn gewiß interessiere. Es waren sehr altmodische Bilder darin von altmodischen Soldaten. Und das Buch hatte ihrem Sohn gehört, der jetzt in Karelien sitze ...
    «Hm, hm», machte der Mann. «Erdbraune Gestalten?» Vielleicht stimmte das ja, was der Junge erzählte.
     
    In Georgenhof klingelte um diese Zeit das Telefon. Die Hesses hatten den Kamin angemacht, die saßen gemütlich beieinander. Es war der Schullehrer, der endlich den Hörer abnahm und «Was?» in den Hörer schrie, «Wie? – Das Generalkommando?» Ein fernes Rauschen, eine ferne Stimme: Er konnte ja nichts verstehen! Frau Hesse nahm ihrem Mann den Hörer aus der Hand, aber auch sie konnte nichts verstehen, sie war ratlos. Es war Eberhard von Globig, der am Gardasee versuchte, mit seiner Frau Kontakt aufzunehmen. «Ah – Herr von Globig ... », sagte Frau Hesse – für einen kurzen Augenblick hob sich der Vorhang. «Ihre Frau ist nicht mehr da ... Wir wissen nichts ... » Aber da war schon wieder Schluß. Was hätte sie auch sagen sollen. – «Im Keller ... », krächzte es noch, und dann war Schluß.
    Was hatte er mit «Keller» gemeint? Frau Hesse nahm eine Taschenlampe und stieg die Kellertreppe hinunter. Da stand Wasser, weiter war da nichts zu sehen.
     
    Gegen Mittag kam Lothar Sarkander. Heil Hitler. Nein, er wolle sich nicht setzen. Nur kurz, nur kurz ... Er ging durch die Zimmer und sah sich alles an. So manches Mal hatte er hier gesessen, das Billardzimmer, der Kamin. Auch den Sommersaal öffnete er, in dem der Frost glitzerte. Hier blieb er einen Augenblick stehen und blickte in den stillen, ernsten Park, und dann stieg er langsam hinauf in den ersten Stock, hier also hatte Katharina gelebt. Und gegenüber die Tochter? Elfie? War das Foto noch vorhanden, das auf dem Kissen gelegen hatte? Er öffnete den Kleiderschrank, in dem noch ihre Sachen hingen ...
    Die Hesse-Jungen standen hinter ihm in der Tür. Und als er die Strickliesel an sich nahm, der Herr Sarkander, sahen sie sich an. Ob der das durfte, hier so einfach was einstecken? Würde man das dem Herrn Drygalski melden müssen?
     
    Über Katharina hatte er nichts Näheres in Erfahrung bringen können. Soweit bekannt, saß sie in der Königsberger Straße im Polizeigefängnis. Wahrscheinlich mit Gesindel zusammen, Huren, Megären und Bettelweibern. Gott sei Dank hatte man ihr Brot mitgegeben, im letzten Augenblick! Brot und Schmalz und Wurst.
    «Das ist sehr gut!» sagte er, und sein Schmiß auf der Backe zuckte.
    Pastor Brahms jedenfalls sei schon abtransportiert worden. Er habe anscheinend zu einer Untergrundorganisation gehört, sagte er, und er flüsterte dabei: Eine Sache im großen Stil. Den machten sie gewiß einen Kopf kürzer.
    «Ach! Nun sagen Sie bloß ... », sagte Frau Hesse und nahm die Hand unter das Kinn. «Aber Frau von Globig? Die ist doch ganz harmlos? Die ist doch sicher da nur so hineingerutscht?» – «Der werden sie jetzt natürlich ganz schön zusetzen.»
    Wagner solle versuchen, ihr noch Sachen zu bringen, sagte Sarkander, und dann ging er fort, mit seinem steifen Bein.
     
    Drygalski schaute auch mal vorbei, Heil Hitler. Für den war das keine Neuigkeit, daß die Globigs davongefahren waren. Das hätten sie längst machen sollen, dann wäre die ganze Sache mit dem Juden nicht passiert.
    Er hatte ihnen ja schon vor Tagen eigenhändig eine Pauschalgenehmigung ausgestellt, und das Tantchen hatte sie gar nicht annehmen wollen!
    Was mit den Kisten werden sollte, die im Sommersaal standen, das interessierte ihn. Auf das Verbergen eines Juden stand doch Vermögensentzug? Vielleicht schon jetzt sicherstellen? Was mochten sie enthalten?
    Ob Sonja sich noch mausig mache, oder solle er sie wegschaffen.
     
    Ein Kontrollgang in Katharinas Wohnung, wie leise er auch auftrat, brachte nichts weiter ein. Er kroch in die Abseite hinein, aber da lag keine

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