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Alles Umsonst

Titel: Alles Umsonst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Schokolade mehr, und auch der Tabak war fort.
    Die Jagdgewehre nahm er mit, die würde er dem Volkssturm übergeben. Munition dazu fand er allerdings nicht.
     
    Gegen drei Uhr, «zur gewohnten Zeit», wie er sagte, kam Dr. Wagner.
    «Was? Alles ausgeflogen?» sagte er, «ohne ein Wort zu sagen? Keinen Brief hinterlassen, nichts? – Wir waren doch schließlich befreundet?»
    Er setzte sich zu den Hesses nach oben in Peters ehemaliges Zimmer. Wie oft hatte er hier gesessen und mit dem Jungen geredet. «Füllest wieder Busch und Tal ... » Nein, die Zeit war nicht vergeudet worden, sie hatten das Beste draus gemacht.
    Gern wäre er mit ihnen gefahren, aber es war wohl kein Platz mehr gewesen auf den Wagen? – Hatte man nicht im Worte gestanden? Nun würde man sehen müssen, wo man bleibt.
    Er für sein Teil hatte sich jedenfalls nicht davongemacht. Er hätte die Globigs nicht im Stich gelassen. Diesen Trost hatte er.
     
    Frau Hesse sagte: «Wir fahren auch los, sobald die Verfügung da ist. Irgendwie kommen wir hier schon weg.» Drygalski habe ihr zwar gesagt: «Fahren Sie sofort los, hauen Sie ab!», aber er hatte ihr kein Papier in die Hand gegeben, das war der Haken. Und wenn sie dann gestoppt und kontrolliert würden, ständen sie da.
    Sie hatte Katharinas Radioapparat zu sich gestellt, den konnte man ja jederzeit wieder in ihr Zimmer zurücktragen.
     
    Ich pfeif’ heut’ Nacht
    didel-dudel-dadel-dü vor deinem Fenster,
    und komm’ ganz sacht
    didel-dudel-dadel-dü
    zu dir hinein …
     
    «Was sagen die Nachrichten?» fragte Wagner. Doch als Herr Hesse ihm Auskunft geben wollte, winkte er ab. Was sollte es schon Neues geben.
    Er hatte hier nun nichts mehr zu suchen. Das Teleskop, wo war es? Mußte er es nicht zurückbringen? Hatte er es nicht zu treuen Händen ausgeliehen? Es war verschwunden, das suchte man sehr vergeblich.
    Die Hesse-Buben hatten sich über Peters Eisenbahn hergemacht. Sie schickten die Züge sausend in die Kurve.
     
    Sonja stand in der Küche, der Tscheche mit der ledernen Mütze stand im Hof. Mit Wurstbroten für Katharina, nach denen Wagner fragte, konnte sie nicht dienen. Nein, damit hat sie nichts zu tun. Die Herrschaft hat alles mitgenommen. Sie schloß die Küche zu. Für Katharina war sie nicht mehr zuständig.
     
    Herrn Hesse ließ der Keller keine Ruhe. «Da ist nichts», hatte seine Frau gesagt. Das konnte ja gar nicht sein. Er raffte sich auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er hatte schließlich als junger Mann den Felgumschwung am Reck geschafft und die Grätsche am Pferd? Er raffte sich also auf und ging hinunter, die Taschenlampe in der Hand, zog die Schuhe aus und krempelte die Hosenbeine auf. Die Wendeltreppe runter, ins Wasser steigen, Gang entlang – eingewölbt war er und länger, als man gedacht hatte. 1605. Lagerte hier Wein?
    «Komm da lieber wieder raus!» rief ihm seine Frau zu, und ihre Stimme hallte. «Das ist bestimmt nicht gut, was du da machst! Das kalte Wasser?» Sie hielt die Jungen zurück, die auch sehen wollten, was es mit dem Keller auf sich hat. «Du holst dir noch den Tod?»
    Herr Hesse untersuchte alles ganz genau, aber da war nichts. Kein Wein, kein nichts, kein gar nichts. Genau wie es seine Frau gesagt hatte. Am Ende des Ganges war der Keller zugemauert. Ein Fluchttunnel aus alter Zeit? Führte er zum Schloß hinüber?
    Das Wasser stand hier schon lange, der Grund war glitschig und glatt, und da! Hesse rutschte aus und fiel ins Wasser. Er wollte noch seine Jungen rufen und seine Frau: «Helga!», aber es war schon vorbei. Dachte er an Levkojen, Malven und Phlox in diesem letzten Augenblick seines Lebens? Oder an all seine Steinbeile und Schaber? Es zog ihm den Mund schief, es gurgelte noch ein wenig, und ein paar Blasen stiegen auf, und dann war’s still, und die Lampe im Wasser erlosch.

Wladimir
    A m nächsten Morgen wartete das Tantchen vergeblich auf den Polen. «Um fünf Uhr», hatte man gesagt, aber kein Wladimir ließ sich blicken. Peter lief umher, von Wagen zu Wagen, die bereits einer nach dem andern den Platz verließen ... Er suchte den Polen. Von der Kutsche aus hielt er Ausschau: Er stand auf dem Kutschbock und hielt Heerschau über das murmelnde, von blitzenden Taschenlampen und Stallaternen durchzuckte Gewimmel, das sich hier eingefunden hatte.
    Irgendwann mußte der Pole doch um die Ecke biegen? das fragte sich auch das Tantchen. Ließ er sich denn Zeit? Komm, ich heut’ nicht, komm’ ich morgen? Er würde tüchtig

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