Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
auch zu Missverständnissen einladen kann). Über Shopping zu theoretisieren hat, in intellektuellen Zirkeln jedenfalls, den
strengen Hautgout jener eigenartigen kulturwissenschaftlichen Leichtfüßigkeit, die von sinnarmer Beliebigkeit manchmal nicht
leicht zu unterscheiden ist und auch eine Sozialgeschichte der Klobrille hervorzubringen vermag. Besser also, man verliert
nicht allzu viele Worte über Shopping, ansonsten besteht Gefahr, dass man für einen dieser Flachdenker aus dem Popliterateneck
gehalten wird.
Dabei ist der Konsumismus nicht nur die wohl bedeutendste Kraft, die unsere Lebensumwelt – etwa das Aussehen unserer Städte,
der Vorstädte – formt, sondern auch ganz entscheidend unsere innere Lebenswelt. Dass die Menschen »ihren ästhetischen Ausdruck
bei den Waren« entlehnen, hat schon Wolfgang Fritz Haugg 1970 in seiner »Kritik der Warenästhetik« 36 festgestellt. Man kann in kulturpessimistischer Absicht auch, wie das Pier Paolo Pasolini in seinen »Freibeuterschriften«
tat, von einer regelrechten »anthropologischen Mutation« 37 sprechen – für Pasolini hat das westlich-hedonistische Kulturmodell die Menschen gleichsam ummontiert, bis ihre gesamte »körperlich-mimetische
Sprache« lautete: »Die herrschende Macht hat beschlossen, dass wir alle gleich sein sollen.« 38 In jedem Fall ist eine »konsumistische Mentalität«, die im Shopping ihre paradigmatische Aktivität findet, unbestreitbar.
Will man diese Mentalität beschreiben, dann stößt man schnell auf oft erwähnte Charakteristika, die da wären: diese schwer
definierbare Unersättlichkeit, der Umstand, dass der Erwerb nicht satt macht, sondern nur den Appetit anregt; jene Art des
Begehrens, wie sich im Anschluss |42| an den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan sagen ließe, die das begehrte Objekt nie in ihren Besitz zu bringen vermag;
das Steigerungskalkül und die vielen Strategien, den »Lustgewinn« auf Dauer zu stellen, wie man sie ansonsten eher aus der
Drogenszene kennt; der Verlust eines Bewusstseins der Unverfügbarkeit und dessen Ersatz durch eine »immanente Glückserwartung« 39 , verbunden mit der Orientierung auf den prinzipiell grenzenlosen Erwartungshorizont, auf den diese vertraut – auf den Markt;
der Drang, das Neue durch das Neueste zu ersetzen, der Erlebnishunger, der alle sozialen Aktivitäten durchzieht – nicht nur
das Shopping im engen Sinn. Jedes soziale Verhalten trägt schon das Kainsmal der Konsumorientierung auf der Stirn. Es ist
nicht schwer, die strukturelle Ähnlichkeit zwischen der Sucht nach immer neuen Produkten und dem Hunger etwa nach Liebeserlebnissen
auszumachen, beruht doch, wie Eva Illouz schreibt, der »Konsum auf dem Drang nach Erregung, denn der Kauf und die Erfahrung
neuer Waren sind eine Quelle der Freude, und die Affäre befriedigt mit all der Erregung eines neuen Liebhabers diesen Drang
ebenso« 40 . Und ist der Trancezustand in den frühen Phasen einer neuen Affäre nicht vergleichbar mit dem, in den der »Fashion Victim«
– früher hätte man gesagt: der »Modenarr« – beim Shoppen verfällt? Die Neuheit selbst ist, in den Worten des amerikanischen
Ökonomen Tibor Scitovsky, also offenbar »eine äußerst wichtige Quelle der Bedürfnisbefriedigung«. Bevor man beginnt, darüber
deprimiert den Kopf zu wiegen, sollte man einen Moment innehalten: Ist das nicht auch Ausdruck von Neugier, regt das Neue
nicht die Fantasie an, auch die banalste Neuigkeit wie das neue Handy, das über eine Vielzahl bisher unbekannter Funktionen
verfügt, die man zwar nicht braucht, die einen aber amüsieren? Der Soziologe Richard Sennett jedenfalls, der |43| gewiss der leeren Affirmation der kalten Welt der Dinge unverdächtig ist, tendiert eher zu einer solch positiven Sicht der
Dinge: »Vielleicht hat auch das Gefühl etwas Befreiendes für sich, die noch durchaus brauchbaren Dinge und Vorgehensweisen
seien verbraucht und ausgeschöpft. Ist es denn etwa keine Befreiung, wenn wir im Geiste über Dinge hinausgehen, die wir unmittelbar
kennen, benutzen oder benötigen? Konsumleidenschaft ist vielleicht nur eine andere Bezeichnung für ›Freiheit‹«, meint Sennett. 41 Schließlich meint Freiheitserlebnis ja auch das fröhliche Bewusstsein der möglichst unbegrenzten Zahl an Optionen, die uns
offenstehen – und wo kann man die derart sichtbar erleben wie auf der Einkaufsmeile? Konnte man je derart widerstandslos und
ohne große
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