Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Menschlichen, allzu Menschlichen. Aber genau das ist der Kern des kommodifizierten
Erlebniskonsums – die Identitätsbildung mittels Kulturwaren. Der Konsument hat Tools zur Auswahl, mittels denen er seine Identität
modelliert. Und dabei ist er einerseits Kind seiner Zeit, aber doch auch Herr des Verfahrens.
Und noch in einem ist »Second Life« paradigmatisch: Warenkonsum wird zunehmend von Erlebniskonsum ersetzt, mit Waren werden
Erlebnisse verkauft, und die Erlebnisse stellen sich sogar dann ein, wenn die Waren radikal entmaterialisiert sind. Einer
der erstaunlichsten Sachverhalte im Orbit des »Second Life« ist ja, dass in der virtuellen Welt Geschäfte mit Gütern gemacht
werden, die nur in dieser virtuellen Welt existieren – und mit diesen Geschäften kann man durchaus Gewinne machen, die man
dann im wirklichen Leben, dem »First Life« realisieren kann (Verluste natürlich auch).
Das Entscheidende ist zunehmend das Erlebnis, das »Gefühl« – das kann an die Materialität von realen Waren gebunden sein,
muss es aber nicht.
Wie weit die Identifikation von Lifestyle-Gemeinschaften mit klar voneinander abgegrenzten Marken geht, hat unlängst exemplarisch
eine Studie der Psychologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum gezeigt. Die erbrachte das in seiner Signifikanz erstaunliche
Ergebnis, dass Citroën-Fahrer vorwiegend SPD wählen, VW-, Fiat-, Nissan- und Opel-Kunden eher links, Mercedes-, Audi-, Toyota-
und BMW-Fahrer eher rechts orientiert sind. Wer Peugeot oder Renault den Vorzug gibt, unterstützt offenbar überdurchschnittlich
häufig die Grünen, während Skoda-Kunden eher zur FDP tendieren. 50 Wer immer wir sein wollen, von jedem Produkt gibt es dafür die passende Variante im Angebot.
|50| Was zuerst war – zuerst das Konsumgut, dann die Ich-Identität oder umgekehrt –, darüber kann man streiten wie in der Fabel
vom Hasen und vom Igel. Es ist wohl so, dass das eine das Andere beeinflusst, prägt, einfärbt. Jemand, der eher zur Schicht
der postmaterialistischen Hedonisten zählt, hat Bilder im Kopf – vielleicht Schwarz-Weiß-Bilder aus Nouvelle-Vague-Filmen,
die die französische Lebensart repräsentieren, oder weichgezeichnete Fotos legerer Trinkerrunden in der Toskana. Der postmaterialistische
Hedonist, der im Wahlverhalten die Grünen favorisiert, wird deshalb eher zu einem wendigen Renault oder Peugeot oder einem
Fiat tendieren als zu massiver deutscher Wertarbeit nach Mercedes-Art. So gesehen ist seine Identität primär, der Kauf das,
was daraus folgt – gewissermaßen Dekoration seines Ich. Andererseits: Die Bilder, die er im Kopf hat, und die allesamt wie
ein Puzzle erst seine Identität konstituieren, stammen selbst zumindest teilweise aus dem medialkommerziellen Stilfundus.
Und der Erwerb des dazu passenden Autos stabilisiert seine hedonistisch-postmaterialistische Identität weiter. Natürlich heißt
das nicht, dass er plötzlich zu einem CDU-Wähler würde, erhielte er von einem Freund einen Mercedes geschenkt (wobei auch
das nicht völlig ausgeschlossen werden könnte, wenn er mit der Zeit begänne, sich »wie ein Mercedes-Fahrer« zu fühlen).
So vertrackt die Sache, so simpel das Prinzip. Das lautet: Ich Nike, Du Puma. Oder: »Ich bin Ich, weil ich Prada trage und
nicht Armani« (Thomas Assheuer in der
Zeit
). Oder: Ich bin rebellisch, weil ich abgetragene Adidas-Jacken aus den 70er Jahren trage. Wie der Held aus David Finchers
Film
Fight Club
, der sagt: »Ich blättere durch Möbelkataloge und frage mich, welches Geschirr mich als Person definieren könnte.«
I shop therefore I am
, heißt ein Werk der Künstlerin Barbara Kruger, längst eine Ikone zum Thema: »Ich shoppe, also bin ich«.
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Ich Prada, Du Armani.
Mit den Waren kaufen wir uns unsere Identität zusammen.
|52| Es ist darum auch notwendig, mit einem alten, unausrottbaren, aber voreiligen Urteil aufzuräumen: dass der Kapitalismus die
Welt gleichförmig macht, homogenisiert. Das ist zwar nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz richtig. Zwar ist er eine
mächtige Kraft, hegemoniale Stile zu etablieren: Auf den Markt kommt nur, was marktgängig verwertbar ist – und er ist der
Feind aller möglichen denkbaren Erlebnisse, die sich nicht marktgängig verwerten lassen (streng gesehen sind im entwickelten
postmodernen Kapitalismus solche nicht-marktgängigen Erlebnisse nicht einmal mehr »denkbar«, weil die Erinnerung an sie verschwindet).
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