Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
Komponenten, »wobei die Bedeutung des innenorientierten Komplexes
in den letzten Jahren gewachsen ist«. Mit dem Akt des Shoppings gönnen wir uns immer auch etwas vom Erlebnismarkt.
Deswegen ist die werbekritische Attitüde auch nicht wirklich überzeugend, die glaubt, mit dem Hinweis, der Konsument würde
durch die Suggestion eines Erlebnisses oder durch die Aura einer Marke zum Erwerb verführt, sei schon irgendetwas Wesentliches
oder gar Kritisches gesagt. Was denn, wenn der Konsument, der viel bewusster ist, als die Kulturkritik unterstellt, gerade
diese Suggestion |46| haben will? Schulze: »Der rationale Erlebniskonsument wehrt sich nicht etwa gegen Suggestionen …, sondern er fragt sie nach:
den Ruhm des Virtuosen, den Massenandrang zum Rockkonzert, die aktuelle Etabliertheit modischer Details im eigenen Milieu,
die Absegnung eines Films als ›Kultfilm‹ …, die Definition des Erlebnisgehalts von Angeboten durch Werbung, die Erzeugung
einer Aura von Besonderheit durch exorbitante Preise.« 46 Der Konsument wird ja nicht durch die behauptete Aura zur Konsumtion eines bestimmten materiellen Produktes verführt, an
dessen Materialität er zuvorderst interessiert wäre – was er will, ist ja gerade die Teilhabe an der behaupten Aura. Schulze:
»Für den innenorientierten Konsumenten gilt, dass sein Konsumzweck erreicht ist, wenn er ein Erlebnis hat. Unbrauchbar sind
die Begriffe von Lüge und Wahrheit, wo es im Einvernehmen aller Marktteilnehmer primär darum geht, dem Endverbraucher gewünschte
psychologische Prozesse zu verschaffen. Unter diesen Bedingungen gilt: Je wirksamer die Suggestion, desto besser das Produkt.
Der Glaube des Abnehmers an zugesicherte Eigenschaften der Ware lässt die zugesicherten Eigenschaften überhaupt erst entstehen.« 47 Der emotionale Mehrwert ist die eigentliche ökonomische Größe. Erlebnisse, sogar Atmosphären, werden »zu marktgängigen Gütern« 48 .
Es ist eine vertrackte Sache, das zu kritisieren. Dass wir mit den Waren, die wir konsumieren, unseren Lifestyle, unser Ich,
unseren emotionalen Stil konstituieren, ist eine Erkenntnis, die durchaus etwas Erschreckendes an sich hat: Was ist denn noch
»ich« in uns, wenn der Kapitalismus unerbittlich in die engsten Nischen unseres privaten, zwischenmenschlichen und emotionalen
Lebens eindringt? Wer will schon die Summe der von ihm konsumierten »Identity Goods« sein? Andererseits: Selbst wenn |48| ich mein Ich erst über Konsum konstituiere, habe ich in der Realität doch meist relativ klare Vorstellungen darüber, wer »ich«
in etwa sein will (auch wenn es trügerische Vorstellungen sind, deren Urheber nicht ausschließlich ich bin), und die Waren
hindern mich in der Regel nicht etwa daran, sondern helfen mir dabei. Deshalb die durchaus erfreuliche Behauptung von Eva
Illouz: »Die Waren behindern und unterdrücken das Ich nicht, sondern dienen vielmehr als nützliches Hilfsmittel für dessen
dramatische Steigerung.« 49 Da die Auswahl an Waren tendenziell unbegrenzt ist, haben wir vielerlei Accessoires zur Hand, welche noch die detaillierteste
Modellierung unseres Ich zulassen. »Was wie die Ausbeutung von Sehnsüchten aussieht, ist vielleicht die Erfüllung von Sehnsüchten«,
schreibt das US-Magazin
Reason
in einer großen Story mit dem programmatischen Titel »In Praise of Consumerism« (»Lob dem Konsumismus«).
|47|
Konsum + Leidenschaft = Konsumleidenschaft.
Schaufenster in Berlin
|48| Und dass es dabei nicht so selten um die Herstellung von Sehnsüchten geht, darüber sollen die notorisch Übellaunigen mäkeln,
zumal ja die Frage auch dann und erst recht offenbliebe, was denn exakt das Kritikwürdige an hergestellten Sehnsüchten ist,
solange deren Erfüllung den Konsumenten Freude bereitet.
Mit einigem Erstaunen präsentierten Zeitschriften und TV-Magazine vor einigen Monaten den Umstand, dass Millionen Menschen
an der virtuellen Internet-Welt des »Second Life« mitwirken. Mit Unverständnis wurde quittiert, dass die Menschen offenbar
Erlebnisse im Netz suchen, die sie im realen Leben nie haben, und dass andererseits das Leben im »Second Life« sich auch wieder
nicht so dramatisch vom »First Life« – also der Realität – unterschiede. Allenfalls spielten die Teilnehmer mit ihren »Identitäten«
– sie flunkerten ein wenig, probierten manches aus, was sie im realen Leben nicht wagen würden, |49| aber alles im allem meist im Rahmen des real
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