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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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aufbrechen.«
    »Äh … na schön«, stammelt sie, »meinetwegen.« Ich komme also bei Billy an, alles in’ner riesigen Tüte, und Billys Vater öffnet die Tür.

    Ich weiß nicht, wie ich darauf gekommen bin, auf diese Idee, wir würden uns zusammen um alles kümmern: um die Bräunungscreme und die künstlichen Wimpern, um die Fliegen und die Reißverschlüsse. Als ich Natalie eine SMS schicke, antwortet sie nur: »???!!?« Und Billys Papa schaut ein bisschen verlegen drein, weil nicht mal Billy zu Hause ist. Er führt mich nach oben in sein eigenes Schlafzimmer, was schon ein ziemlich seltsamer Aufenthaltsort ist, und ich setze mich an den Frisiertisch von Billys Mutter, eine Art Nische im Einbauschrank, und sehe mir das Zeug von ihr an: vergammelte Lippenstifte, Kompaktpuder mit einem dieser Schwämmchen, die irgendwie orthopädisch aussehen, und Nachtcreme in Industriestärke. Und ich weiß, dass ich die Bräunung erst mal vergessen kann, weil niemand da ist, der mir den Rücken einschmieren könnte. Ich schminke mich schön grell, und dann sitze ich einfach nur da und betrachte mich in Mrs Caseys Spiegel. Nach einer Weile bleibt mir nichts anderes übrig, als das verdammte Kleid anzuziehen. Danach setze ich mich auf Mr und Mrs Caseys Bett und starre die Tapete an. Das Bett ist nicht gemacht. Die Laken sind ganz dunkelgrün. Ich leg mich’nen Moment hin – nur für zwei Sekunden leg ich mich hin. Da kommen plötzlich all die anderen, und ich springe auf, stopfe mein ganzes Zeug in meine Tüte und lege meinen großen Auftritt hin, schwebe die Treppe hinab in die Diele.
    Natalie hopst auf und ab, kreischt und umarmt mich aus einem Meter Entfernung, damit sie nur ja nichts in Unordnung bringt. Dann gehen wir in Billys Wohnzimmer, Billys Vater schießt ein Foto, und dann taucht
sie auf – Mrs Casey. Ich hatte mich schon gewundert, warum es im Haus so still war, doch da steht sie nun, dicht an die Wand gepresst. Tatsächlich schwingt sie ins Zimmer wie ein zerbrochener Torflügel. Mit einer Hand umklammert sie den Türrahmen, mit der anderen schlägt sie flach gegen die Wand. Dann erstarrt sie und schaut nach links, als wäre ihr jemand auf den Fersen. Alle sind in der Diele.
    »Hallo, Mrs Casey«, sage ich.
    Sie ist sturzbetrunken.
    »Heyyyy«, lallt sie.
    »Wie finden Sie mich?« Ich vollführe eine jämmerliche kleine Drehung, und sie beugt sich zu mir und gibt eine Art zustimmendes Grunzen von sich, dann schwenkt sie den Kopf, um Natalie anzupeilen.
    Sie mustert ihr Kleid.
    »Hnnnn«, macht sie – so kommt es tatsächlich aus ihr raus, eine ziemlich freundlicher und ironischer Laut, ein Laut, der bedeuten soll: »Weiß? Interessante Wahl«, aber Natalie sieht sie nur an.
    Dann rafft sie ihr weißes Kleid mit ihren Rouge-Noir -Nägeln und schnauzt »Billy!«, als sei der’n Hund oder so. Sie blickt nicht links und nicht rechts. Sie setzt wieder ihr Nonnenlächeln auf, rauscht an Mrs Casey vorbei und läuft weiter, bis sie zur Haustür raus ist.
     
    »Leute sterben«, hat Natalie heute Abend zu mir am Telefon gesagt. Denn natürlich zogen wir aller Augen auf uns, als wir im Hotel ankamen, und die Jungs gaben sich voll die Kante. Zumindest hab ich mir voll
die Kante gegeben, weshalb ich vermute, dass es bei den Jungs genauso war, und schließlich hab ich rumgeknutscht – nicht mit Billy, Gott bewahre -, sondern mit’nem ganz andern. Auf dem Rücken des Seidenkleids meiner Mutter klebt’n kleiner Spritzer Erbrochenes, und ich bin mir ziemlich sicher, dass der Typ mir auf die Schulter gereihert hat, und aus meiner Telefonstimme dürfte Natalie rausgehört haben, dass ich ihr an allem die Schuld gebe. Denn als sie ihr weißes Kleid gerafft hatte und an Mrs Casey vorbeigerauscht ist, ist etwas kaputtgegangen. Etwas zwischen uns vieren ist für immer kaputtgegangen.
    »Jedenfalls stirbt sie nicht«, sagt Natalie, die nicht die Absicht hat, jemals zu sterben. »Sie war nur betrunken.« Was stimmt.
    Waren wir etwa nicht betrunken?
    Bei dem Telefongespräch hab ich nicht daran gedacht, es zu sagen. Jetzt aber, mitten in der Nacht, nachdem ich mit einer Schweißschicht purer Scham aufgewacht bin, denke ich daran, es zu sagen. Abgesehen von allem anderen, war sie so beknackt – meine Filmvorschau, in der Natalie und ich unsere Mascara tauschten, uns gegenseitig das Haar sprayten und die Fliegen der Jungs richteten. In der sich Mrs Casey unten hart und heftig über mein Kleid äußerte und mich hart und heftig auf

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