Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
zu. Den ganzen Juni verbrachte sie im Badezimmer, wo sie sich ihre Pickel ausdrückte, oder sie saß unten untätig herum und äußerte sich nicht, was sie als Nächstes zu tun gedachte. Und dann, am vierzehnten Juli, ging sie aus und kam nicht mehr zurück.
Wir warteten einundsechzig Tage lang. Am Samstag, dem dreizehnten September, war ein Schlüssel im Türschloss zu hören, und ein Kind kam herein – ein vom Tod gezeichnetes Kind. Serena wog knapp zweiundvierzig Kilo. Hinter ihr stand ein Kerl, der einen Koffer trug. Er sagte, er heiße Brian. Er sah aus, als wisse er nicht, was er tun solle.
Wir reichten ihm eine Tasse Tee, während Serena in einer Ecke der Küche hockte und vor sich hin stierte. Soweit wir es uns zusammenreimen konnten, war sie bei ihm aufgekreuzt und dageblieben. Ein netter Kerl.
Ich weiß nicht, was er von einem Mädchen wollte, das eben erst die Schule beendet hatte, aber Serena sah schon immer älter aus, als sie war.
Es ist schwer, sich in Erinnerung zu rufen, wie es damals war, aber Anorexie hatte gerade erst angefangen, kam gerade in Mode. Wir musterten Serena und dachten, sie hätte Krebs, und konnten nicht glauben, dass es sich um eine Art Diät handelte. Dann die Bemühungen, sie zum Essen zu bewegen, das Gehätschel und Getätschel, das verzweifelte Schweigen, wenn Serena auf ihren Teller starrte und eine einzige grüne Bohne auf die Gabel spießte. Es heißt, Magersüchtige seien intelligente Mädchen, die sich zu viel Mühe geben und in den Abgrund gestoßen werden, aber Serena schlenderte geradezu zum Rand des Abgrunds. Sie sah uns über die Schulter an, wie wir herumstanden und nach ihr riefen, dann drehte sie sich um und sprang. Dass sie ihren Tod genoss, ist nicht zu viel behauptet. Ich glaube nicht, dass es zu viel behauptet ist.
Jetzt aber sitze ich erst mal mit Brian in der Küche fest, und Serena hat riesige Augenhöhlen, in denen ihre Augen flackern. Natürlich flossen Tränen – die Tränen meiner Mutter, meine Tränen. Der Alte schlug mit der geballten Faust gegen die Türlaibung, dann stützte er die Stirn auf die Faust. Serenas Tränen, als sie endlich flossen, wirkten heiß, als hätte sie kaum noch Flüssigkeit übrig. Meine Mutter brachte sie ins Bett, so liebevoll, als sei sie noch ein Kind, und während sie schlief, holten wir den Arzt. Als er ihr den Puls fühlte, wachte sie auf. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment wieder losbrüllen, aber dafür
war es jetzt zu spät. Er ging zum Telefon in der Diele und veranlasste, dass sie auf der Stelle ins Krankenhaus kam.
Einundsechzig Tage. Glauben Sie mir, die haben wir einen nach dem andern durchlebt, jeden für sich. Jede Stunde haben wir durchlebt und nicht eine Minute übersprungen.
Im Krankenhaus begegnete ich hin und wieder Brian, und wir erzählten uns ein paar makabre Witze über die Station; über die Bohnenstangen in den Betten, die strickten und die hüpften, alles nur, um Kalorien zu verbrennen. Eines Tages öffnete ich die Tür zum Badezimmer und sah dort eine von ihnen, wie sie sich im Spiegel betrachtete. Bei geöffneter Kabinentür stand sie auf einem Toilettensitz und hatte sich das Nachthemd bis zum Gesicht hochgezogen. Sämtliche Knochen waren zu sehen. Zwischen ihren Schenkeln war kilometerweit Platz, und ihr Schambein ragte hervor, ein sich ausbuchtender Fleischhügel, schrecklich gespalten. Als sie hörte, wie die Tür aufging, zog sie das Nachthemd herunter, sodass sie wieder anständig bekleidet war, als ich den Blick von ihrem Spiegelbild zur Toilettenkabine wandte. Es war nur ein flüchtiger Moment, so als drücke man die Fernbedienung, um eine Sitcom zu finden, und mittendrin springen einen Bilder von einer Hungersnot an oder ein Porno.
Serena lag in einem Bett am Ende der Reihe, eine reglose Gestalt inmitten des Gezappels der Station. Sie las in einem Buch und blätterte langsam die Seiten um. Ich hatte ihr Wein- und Kaugummi mitgebracht, denn als sie klein war, hatte sie mir die immer aus meinem Vorrat gemopst. Serena gehörte zu den Mädchen, deren
Taschengeld bereits am Dienstag ausgegeben war und die den Rest der Woche herumjammerten. Jetzt überschütteten wir sie mit Sachen, die sie vielleicht haben wollte: Weingummi, Jaffakekse, eine Geburtstagstorte mit Eiscreme, Strähnchen im Haar, alles völlig blöde und belanglos. Wir verwöhnten eine Fünfjährige, sie konnte nicht genug kriegen, und immer kam alles zu spät.
Dann gab’s die Therapiesitzungen. Wir mussten alle
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