Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
die Wange küsste, bevor wir aufbrachen. Und es dauerte eine Weile, bis ich kapierte, dass es a) nicht das Haarspray ist, das einen uncool aussehen lässt, sondern der Sex, und dass ich b) Haarspray nicht mal mag.
Das wäre also geklärt.
Eine Zeit lang liege ich nur da und lasse mir die kleinen Augenblicke durch den Kopf gehen. Wie zum Beispiel den vor ein paar Monaten in der Pommesbude, als Natalie sagte: »Und solange wir’s nicht wissen, brauchen wir auch nicht so’n Aufstand zu machen.«
Und ich glaube, Billys Mutter wird leben oder sterben, ob wir nun’nen Aufstand machen oder nicht. Also sage ich: Dann mach doch’nen Aufstand . Du kannst dich ruhig so geben, wie du dich fühlst , Natalie .
Das Nachtlämpchen meiner Schwester spielt mit dem Gedanken, von Blau zu Lila überzuwechseln, überlegt es sich dann aber offenbar anders. Was soll ich ihr sagen – so frühreif, wie sie ist -, was soll ich ihr im Alter von zwölfeinhalb sagen? Wir sind nicht miteinander verbunden .
Denn das ist es doch, was Natalie sagt, nicht wahr? Dass wir allein sind. Dass es keine Verbindung gibt zwischen mir und ihr, zwischen Billy und mir oder zwischen irgendeinem von uns und Mrs Casey, die leben oder auch sterben mag. Zwischen Menschen überhaupt.
Aber natürlich sagt sie nichts davon.
Ich meine, ich werde weiterhin mit Natalie rumhängen. Und ich weiß, dass ich sie auf andere Weise mögen werde – vermutlich auf ihre Weise. Und ich weiß, dass das, was ich für meinen Freund empfinde, nicht Liebe ist, sondern einfach nur ein blödes Wonnegefühl. Das alles weiß ich – davon bin ich nicht aufgewacht. Aufgewacht bin ich von einem Gefühl wie in einem Horrorfilm – aber einer, der so richtig langweilig war.
Es waren die Laken. Als ich mich, nur eine Sekunde lang, auf Mr und Mrs Caseys moosgrüne Laken gelegt
habe. Vor dem Ball, herausgeputzt in meinem Seidenkleid, als ich mit der Hand über die Laken strich und meine Wange an die dunkle Baumwolle schmiegte, nur eine Sekunde lang. Es war der Geruch dieser Laken – kühl, ungewaschen; als würde etwas, das ich wirklich gewollt hatte, schal und muffig werden.
Davon bin ich aufgewacht.
Kleine Schwester
In dem Jahr, das ich meine, dem Jahr, als meine Schwester uns verließ (oder wie immer man es nennen mag), war ich einundzwanzig und sie siebzehn. Wir hatten gebührenden Abstand zueinander gehalten, die ganzen siebzehn Jahre lang. Vier Jahre auseinander – da ist man sich manchmal sehr, sehr fern und manchmal näher, als man denkt. In einigen dieser Jahre mochten wir einander, in anderen nicht. Doch ob nah oder fern, sie war meine Schwester. Und was ich vermutlich zu erklären versuche, ist, was das bedeutete.
Serena glaubte immer daran, mich eines Tages überholen zu können, daher der minderjährige Alkoholkonsum und der obligatorische Sex. Doch obwohl sie in Pubs ging und sich Ärger einhandelte, noch ehe ich Stöckelschuhe trug, wusste ich, zuinnerst und voller Müdigkeit, dass ich die Ältere war – und stets die Ältere bleiben würde; älter als ich würde sie nur dann werden können, wenn ich vor ihr stürbe.
Und natürlich hatte ich auch Gefallen daran. Es machte Spaß, jemanden zu haben, der kleiner war als man selbst. Sie beklagte sich immer, ich würde sie herumkommandieren, aber ich wusste, dass wir Spaß hatten. Denn bei
Serena fragt man sich ständig, was bei ihr schiefgelaufen ist, oder gar: Was ist bei mir schiefgelaufen? Aber glauben Sie mir, damit bin ich fertig – mir den Kopf über ihr Leben zu zerbrechen.
Als sie sechs war und ich zehn, begleitete ich sie zur Mittagszeit immer zum Bus, weil sie damals nur halbtags Schule hatte. Ich verbrachte also meine Pause mit meiner Schwester an der Bushaltestelle, statt auf dem Schulhof Gummitwist zu spielen, was nicht heißt, dass ich mich beschwere, ich möchte nur betonen, dass wir alle uns unaufhörlich um sie gekümmert haben. Aber es gibt einfach Dinge, die man für ein Kind nicht tun kann. Es gibt Dinge, bei denen man nicht helfen kann.
An dem besagten Tag waren wir gerade auf dem Weg von der Schule zur Hauptstraße, als ein Mädchen durch die Luft segelte und auf dem Dach eines bremsenden Autos landete. Serena rief: »Sieh mal!«, aber ich zog sie weiter. Es war viel zu schrecklich. Und als hätte sie gewusst, dass es viel zu schrecklich ist, folgte sie mir ohne großen Widerstand. Ein Mädchen landete auf dem Dach eines bremsenden Autos. Sie wirbelte durch die Luft, als schlüge sie ein Rad.
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