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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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begonnen, damit in der Diele möglichst viel Farbe und Terpentin herumstand. Auf einer Schreibmaschine, die er später im Kanal versenkte, tippte er eine Reihe von Drohbriefen
an sich selbst. Ich las mir den Artikel aufmerksam durch, nicht nur wegen des schrecklichen Geschehens, sondern auch, weil der Mann Brian Dempsey hieß. Genau wie der trübsinnige, gut aussehende Mann, der mit meiner Schwester geschlafen hatte – und mit mir. Ich erzähle das alles so freizügig, aber so war es nun mal. Brian. Die Drohbriefe wollten mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Zwei volle Monate, bevor er das Feuer legte, hatte er damit angefangen. Ich dachte über diese acht Wochen nach, die er mit ihr verbracht und in denen er sich über das Abendessen oder den Mangel an sauberen Hemden beschwert hatte, verärgert über sie, weil sie einfach nicht begriff, nicht begreifen wollte , dass ihre Tage gezählt waren. Ich trug mich sogar mit dem Gedanken, ihn vor dem Prozess im Gefängnis zu besuchen, einfach nur, um ihn anzuschauen, einfach nur, um »Brian« zu sagen. Als der Fall schließlich vor Gericht verhandelt wurde, brachte die Zeitung ein Foto von ihm, auf dem er mir alt und furchtbar dick erschien. Immer wieder starrte ich auf seine Augen, bis sie zu bloßen Zeitungspunkten wurden. Als ich dann aber den Prozessbericht las, merkte ich, dass es sich um einen ganz anderen Brian Dempsey handelte, einen Mann aus Athlone.
    Das war vergangenen Monat, doch selbst heute noch stockt mir in leeren Zimmern der Atem. Gestern habe ich ein Fläschchen Chanel Nr. 5 auf den Frisiertisch gestellt und für eine Weile am Verschluss herumgedreht. Noch immer denke ich nach, nicht über Brian, aber doch über jene einundsechzig Tage, in denen meine Mutter fast verrückt geworden wäre, mein Vater Langeweile vortäuschte
und ich zum ersten Mal seit Jahren ein eigenes Schlafzimmer hatte. Ich muss an Serenas Abwesenheit denken, daran, wie erstaunlich es war, als wir alle zusammen dasaßen und uns ansahen, bis die Tür aufging und sie hereinkam, halb tot, einen gewöhnlichen, lebendigen Mann im Schlepptau. Und ich denke, dass wir sie irgendwie erfunden, sie uns eingebildet haben. Und vielleicht auch er – dass auch er sie erfunden hat. Und ich denke, wenn wir sie jetzt erfinden würden, wenn sie jetzt ins Zimmer träte, würden wir sie gleich noch einmal töten.

Ein Wochenende schlechter Sex
    Er sagte, er sei eine Weile in New York gewesen. Er erzählte von einer Ratte in seinem Schlafsack in einer Jugendherberge in der 42 nd Street und von einem Typen, dem sie im Nachbarbett die Niere gestohlen hätten. Er sagte, aus allen Löchern seien Kakerlaken hervorgeströmt: aus Rohrleitungen, Dielenbrettern, Fasergipsplatten; das Zimmer habe sich wie ein Schiff angefühlt, das in einem Meer von Kakerlaken untergeht. Er war ein Junge – er sprach nicht übers Skaten im Central Park, sondern über Ungeziefer, und zwar mit einem Sligoer Akzent. Was erwartete sie denn? (Was erwartete sie überhaupt? Er hatte hübsche Augen.)
    Sie kannte Sligo. Die Stadt war schön. Dort hatte sie sich einmal mit ein paar Kiffern aus einer örtlichen Rockabilly-Band betrunken. Einer steckte bis zum Oberschenkel in Gips – ein Autounfall, sagte er. Dann schüttete er neun Pints in sich hinein und ging hinaus, um wieder nach Hause zu fahren, wobei er sich an der Tür des Pubs johlend auf dem kleinen Absatz seiner Prothese drehte. Im Schlaf versuchte sie sich manchmal auszumalen, wie er überhaupt das Gaspedal und die Kupplung bedienen konnte; stach mit dem einen oder dem anderen Fuß ins
Federbett und wachte tot auf. Das war Sligo. Ein Ort, wo es den ganzen Tag regnete, wo die Stricher auf die Jungs aus Nordirland warteten und wo eine Wohnsiedlung nach W. B. Yeats benannt war. Dort konnte man verrotten oder, wie er es getan hatte, fliehen.
    Nun war er wieder zurück, lebte in Dublin, sprach über die Huren in Bangkok, wo er nie gewesen war, und schwärmte von den Rauchkringeln, die sie mit ihrer Pussy blasen konnten. Sie hörte es gern, wie er mit seinem Sligoer Akzent »Pussy« sagte. Er war so sexy. All dieser selbstverliebte Selbsthass – das war typisch Sligo, ebenso die Sache mit der Rasierklinge, wenn sie sich ein paar Lines reinzogen, die Art, wie seine Augen sagten: »Du kannst die Schneide sein, und du kannst der Schnitt sein.«
    Um die Wahrheit zu sagen, törnte das Schadensversprechen sie nicht sonderlich an. Es traf sie tief ins Herz und nicht in die Leistengegend, und

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